Clarissa
«
»Raine«, sagte sie und richtete sich neben dem Verletzten auf. »Es war nicht meine Absicht… «
»Geh jetzt, Anne, und wenn du einem von meiner Familie begegnest, sag ihm, mir geht es gut. «
Sie nickte, ein Mann half ihr auf sein Pferd und stieg in den Sattel. Der Verwundete wurde auf ein Pferd geladen, und dann zogen sie ab.
Als sie außer Sicht waren, ließ Raine Clarissa wieder los.
»Sie versuchten, Euch zu töten«, fauchte sie ihn mit funkelnden Augen an. »Und diese Frau beschimpfte Euch, weil Ihr einen ihrer Diener verletzt habt. «
Raine zuckte mit den Achseln. »Wer versteht schon Frauen? Ihre Sorge galt schon immer dem Geld und dem Besitz. «
»Und mir schien, daß Ihr sie gut kennt«, sagte Clarissa und rieb sich das Kinn. Sie spürte noch jetzt Raines Hand auf ihrem Mund.
»Ihr Vater hatte mir vorgeschlagen, sie zu heiraten. «
Clarissa blieb betroffen stehen. »Und Ihr habt beschlossen, das nicht zu tun — oder gab sie Euch einen Korb? «
Er grinste schief, wobei sich ein Grübchen zeigte. »Sie ließ mir in jeder Hinsicht meinen Willen, doch ich bat sie nicht, mich zu heiraten. Sie ist unstet und ändert ständig ihre Meinung. Sie kann sich nicht einmal entscheiden, welches Kleid sie am Morgen anziehen soll. Ich bin sicher, daß sie nicht viel von ehelicher Treue halten würde, und es widerstrebt mir, eine Frau zu schlagen. «
»Es widerstrebt Euch… « stotterte Clarissa.
»Wenn du deine Wissbegierde über Frauen für heute gestillt hast«, sagte er und löste sich von dem Baum, an den er sich lehnte, »wäre es mir lieb, wenn du dich um mein Bein kümmertest. «
Da sah sie nach unten und entdeckte zum erstenmal den dunklen Blutfleck, der sich auf Raines Strumpfhose ausbreitete.
Kapitel 7
»Ihr seid verwundet«, sagte sie mit einer Stimme, als läge er bereits im Sterben.
»Ich glaube, es ist nur ein Kratzer, aber vielleicht sollten wir doch lieber nachsehen. «
Sie rannte zu ihm, schlug den Arm um seine Taille und lehnte sich gegen seine Brust. »Setzt Euch. Ich werde Rosamund holen, und… «
»Alexander«, sagte er amüsiert, »es ist keine tödliche Wunde, und ich kann damit noch ganz gut reiten. Weißt du eigentlich, daß du der schlimmste Knappe bist, den ich je hatte? «
»Der schlimmste? « hauchte sie und ließ sich auf einen Baumstumpf fallen. »Ihr seid ein undankbares… «
»Es dauerte endlos, bis du mit dem Pferd gekommen bist. Ich kämpfte um mein Leben und konnte dich dabei im Wald singen hören. Wolltest du meinen Feinden ein Ständchen geben? «
Kein Wort mehr wollte sie mit ihm reden, nie mehr, beschloß sie, als sie ihm den Rücken zudrehte und das Pferd holen ging. Sie hörte ihn lachen und hob das Kinn noch etwas höher.
Auch wenn es ihm schwerfiel aufzustehen, weigerte sie sich, ihm zu helfen, und tat so, als bemerkte sie es nicht.
»Alexander, ich muß das Pferd diesmal von der anderen Seite besteigen, und das wird ihm nicht gefallen. Du mußt es ruhig halten. Eine heftige Erschütterung täte dem Bein nicht gut. «
Da ging sie zum Kopf des Pferdes, hielt ihn fest und sah ihm in die Augen, während sie ein Lied anstimmte und den Hengst beruhigte. Raine schien sich viel Zeit damit zu lassen, vom Rücken des Pferdes in den Sattel zu rutschen, ehe er ihr seine Hand hinhielt, um sie auf den Rücken des Tieres zu heben.
Auf dem Weg zurück ins Lager klammerte sie sich nur am Sattel fest und beobachtete, wie das Blut sich auf seinem Schenkel ausbreitete. Als der Hengst die Witterung des Blutes aufnahm, begann er zu scheuen, und instinktiv drückte Raine die Knie zusammen, damit er sich wieder seinem Willen fügte. Clarissa merkte, wie weh ihm das tun mußte, denn sein Rücken wurde ganz steif.
»Vielleicht kannst du ihn mit deinem Gesang beruhigen«, sagte er leise. »Mit meinem Lärm, wolltet Ihr wohl sagen! « gab sie immer noch gekränkt zurück.
»Egal, wie du es nennen willst«, sagte er hölzern.
Clarissa hatte ihn noch nie in diesem Ton zu ihr sprechen hören, doch sie merkte, daß es seine Stimme war, mit der er den Schmerz verdeckte. Angeblich war seine Wunde ja nicht schlimm; doch die Blutung schien nicht aufhören zu wollen. Das war nicht der richtige Moment, ihm böse zu sein. Sie begann zu singen, und das Pferd beruhigte sich.
»Ich muß dich meinen Brüdern vorstellen«, murmelte er. »Sie würden mir nicht glauben, wenn sie es nicht selbst erlebten. «
Als sie sich dem Lager näherten, kamen ihnen ein paar Leute entgegen, die
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