Clarissa
gibt und dich jede Nacht umarmen wird? «
Nach diesem Angriff blieb sie eine Weile stumm. »Verzeih mir, Joss. Ich hatte gehofft, Rosamund könnte Constance ersetzen; doch ich sehe ein, daß sie das nicht kann. «
Jocelin wandte sich ab, weil er nicht wollte, daß Clarissa sein Gesicht sah. Zu oft gehörte das Gesicht, das ihm nachts vor Augen stand, nicht Constance, sondern Rosamund. Rosamund, so still, fast um Verzeihung bittend, daß sie existierte, tauchte viel zu oft in seiner Erinnerung auf; nicht als die stille, sanftmütige Frau, wie er sie im Lager gekannt hatte, sondern als Frau, die ihm den Abschiedskuß gegeben hatte. Zum erstenmal seit Constances Tod hatte dieser Kuß einen Funken in ihm geweckt. Nicht, daß es nicht hin und wieder ein paar Frauen gegeben hätte, doch ehe er Constance begegnete und nach ihrem Tod war er stets unbeteiligt gewesen, hatte die Frauen nicht an sich herankommen lassen. Nur einen Moment lang, als er Rosamund in den Armen hielt, hatte er das Aufflackern eines echten Begehrens gespürt, ein aufrichtiges Interesse an einer Frau.
Joss faßte Clarissa bei der Hand, und so gingen sie auf das Schloß zu, das in einiger Entfernung vor ihnen aufragte. Es war ein altes Gemäuer mit einem Turm, von dem das Mauerwerk abbröckelte, und Clarissa wußte, sie würden wieder einmal in einem zugigen Raum schlafen müssen. In den letzten Monaten ihrer Reise hatte sie reichlich Erfahrungen sammeln können, was den Adelsstand betraf. Vielleicht war ihre wichtigste Erkenntnis, daß Edeldamen nicht mehr Freiheiten hatten als andere Frauen auch. Sie hatte hochadelige Damen mit Veilchen um die Augen gesehen, die von den Schlägen ihrer Ehemänner herrührten. Sie hatte schwache, feige Nobelmänner gesehen, die von ihren Frauen mit Verachtung gestraft wurden. Sie hatte Verbindungen großer Liebe erlebt, Paare, die sich haßten, Haushalte von großer Dekadenz und einige, die mit Liebe und Respekt aufgebaut waren. Sie war allmählich zur Einsicht gelangt, daß Edelleute Probleme hatten, die jenen des gemeinen Standes in ihrer Heimatstadt sehr ähnlich waren.
»Tagträume? «
»Gedanken an meine Heimat und was für eine behütete Kindheit ich genoß. Ich wünsche mir fast, meine Musik hätte mich nicht so von meiner Umgebung getrennt. Es gibt mir das Gefühl, als gehörte ich eigentlich nirgendwo hin. «
»Du gehörst dorthin, wo du dich zu Hause fühlst. «
»Joss«, sagte sie ernst, »ich verdiene weder dich noch Raine. Doch eines Tages kann ich hoffentlich etwas Nützliches tun. «
»Weißt du eigentlich, daß du mit deinem Reden mit jedem Tag Raine ähnlicher wirst? «
»Gut! « lachte sie. »Hoffentlich kann ich sein Kind so erziehen, daß es wenigstens halb so gut wird wie er. «
Als sie sich dem Tor des alten Schlosses näherten, mußten sie Hunderten von Leuten den Vortritt lassen, ehe sie Zutritt bekamen. Mit dieser Verlobung sollten zwei mächtige, reiche Haushalte miteinander verbunden werden, und die Gäste und Belustigungen mußten dementsprechend prächtig sein.
Joss behielt den Arm um Clarissas Schultern, während er sie durch die schubsende Menge schob.
»Seid ihr die Sänger? « rief eine große Frau zu Clarissa hinunter.
Clarissa nickte zu ihr hinauf, zu den dunklen stahlumbänderten Haaren, der Kostbarkeit ihrer Gewänder.
»Folgt mir. «
Dankbar stiegen sie hinter ihr eine enge Wendeltreppe zu einem großen runden Raum an der Spitze des Turmes hinauf, wo mehrere Frauen unruhig auf-und abgingen und bedrückte Gesichter machten. In der Mitte des Zimmers schluchzte und klagte eine junge Frau.
»Hier ist sie«, sagte eine Frau neben Clarissa.
Clarissa sah zu einem engelgleichen Gesicht mit blonden Haaren, blauen Augen und einem feinen Lächeln hinauf.
»Ich bin Fiona Chathworth. «
Clarissas Augen weiteten sich bei dem Namen, aber sie sagte nichts.
Fiona fuhr im ärgerlichen Ton fort: »Ich fürchte, unsere zukünftige Braut hat schreckliche Angst. Glaubst du, es gelingt dir, sie so weit zu beruhigen, daß sie mit uns nach unten gehen kann? «
»Ich werde es versuchen. «
»Wenn du es nicht kannst, muß ich ihr eine Maulschelle geben und abwarten, ob die Musik sie beruhigt. «
Clarissa mußte über die Worte dieser so süß aussehenden Frau lächeln. Ihre Rede paßte so gar nicht zu ihrem Gesicht. »Wovor hat sie denn solche Angst? « fragte sie, um sich entscheiden zu können, was für eine Musik sie spielen sollte.
»Vor dem Leben. Männern. Wer weiß? Wir kommen
Weitere Kostenlose Bücher