Clarissa
Schauder lief über ihre Haut, ihre Ohren klingelten, und eine winzige Flamme der Hoffnung glomm in ihr auf.
Die Wächter, die sie umringten, nahmen sich Zeit mit dem Entfachen des Feuers, während sie die Landschaft ringsum im Auge behielten, Ausschau hielten nach einem Ritter und seinen Gefolgsleuten.
Nicht sicher, ob sie ihren Augen trauen konnte, betrachtete sie abermals den Mob.
»Worauf wartet ihr noch? « kam eine Stimme, die Clarissa genausogut kannte wie ihre eigene. Dort, in der vordersten Reihe, mit geschwärzten Zähnen und einer schmutzigen blutigen Bandage über einem Auge, stand Jocelin. Neben ihm ein Mann, den Clarissa als Bewohner des Waldlagers wiedererkannte, einer von den Männern, die sie des Diebstahls beschuldigt hatten. Sie wirkten noch schmutziger und abstoßender, als sie sie in Erinnerung hatte, doch sie waren alle hierhergekommen, die Verbannten aus ihrem Waldlager, und sahen nun mit einem halben, verschwörerischen Lächeln zu ihr hinauf, als sie merkten, daß sie von ihr erkannt wurden.
Obwohl sie ihre ganze Willenskraft zusammennahm, begannen die Tränen ihr über die Wangen zu strömen, und obwohl ihr alles vor den Augen verschwamm, konnte sie sehen, daß Joss versuchte, ihr etwas mitzuteilen. Es dauerte Sekunden, bis sie verstand, was er ihr zuraunte.
»Dieses Feuer wird die Hexe zum lauten Singen bringen«, sagte er, und Clarissa hörte Erbitterung aus seiner Stimme heraus.
Verstohlen sah sie auf die Wachen, die mit gerunzelter Stirn in die leere Landschaft starrten und nicht einen Blick übrig hatten für die Menge, die sich am Fuß der Plattform drängte.
»Wir haben lange genug gewartet«, sagte einer der schwarzgewandeten Richter hinter Clarissa. »Laßt die Hexe brennen. «
Einer der Wächter senkte eine brennende Fackel zum Reisig hinunter, und in diesem Augenblick sog Clarissa ihre Lungen voll Luft. Verzweiflung, Angst, Hoffnung, Freude — das alles vereinigte sich in ihrer Stimme, und der Ton, den sie hervorbrachte, war so stark, so laut, daß alle einen Moment lang wie gelähmt dastanden.
Jocelin war der erste, der sich wieder bewegte. Mit einem Schrei, der Clarissas Ton um weniges nachstand, sprang er auf die Plattform hinauf, und ihm folgten zwanzig Männer und Frauen. Ein geständiger Mörder warf sich mit voller Wucht auf den Wächter, der die Fackel hielt, so daß ihm das flammende Pech aus der Hand flog und den Reisigstoß hinter Clarissas Rücken entzündete, wo sogleich eine Flamme emporzüngelte.
Sechs Wächter und vier Richter befanden sich auf der Plattform. Die Richter flüchteten beim ersten Anzeichen von Gefahr, ihre Roben bis zu den Knien hinaufgezogen, die sich hinter ihnen blähten wie schwarze Flügel.
Rauch ringelte sich um Clarissas Körper, während sie zusah, wie die Männer und Frauen mit den stahlbewehrten Rittern kämpften. Bei jedem Schlag, der auf nacktes Fleisch traf, spürte sie den Schmerz in ihrem eigenen Leib. Diese Leute, die sie so schlecht behandelt hatte, setzten ihr Leben ein, um sie zu retten.
Der Rauch wurde dichter, trieb ihr Tränen in die Augen und zwang sie zu husten. Hitze, so schlimm wie die heißeste Sonne, versengte ihr den Rücken. Sie versuchte immer noch die Leute, die sie umgaben, zu beobachten, sich deutlich bewußt, wie gebrechlich sie waren im Vergleich zu diesen Rittern in ihrer schweren Rüstung. Ihr einziger Trost war der Gedanke, daß Raine vernünftig genug gewesen war, nicht sein Leben in diesem Kampf zu riskieren. Wenigstens war er dieser Stätte ferngeblieben und hielt sich irgendwo an sicherer Stelle auf.
Es dauerte eine Weile, ehe sie gewahrte, daß einer von den Rittern nicht von den Waldleuten angegriffen wurde. Und erst, als sie seine donnernde Stimme hörte, die hohl im Helm widerhallte, begriff sie, daß einer der Wachen Raine war.
»Jocelin! Schneide sie los! « befahl Raine, während er eine doppelschneidige Axt auf die Schulter eines bewaffneten Ritters niederwuchtete, daß der Mann in die Knie brach. Eine Frau sprang auf den gefällten Ritter zu, riß ihm den Helm ab, während ein einäugiger Mann eine Keule auf den Kopf des benommenen Ritters schmetterte.
Der Rauch war so dick, daß Clarissa nicht mehr sehen konnte, und ihr Hals war rauh vom Husten. Noch mehr Tränen flossen, während Joss die Stricke durchschnitt, die ihre Handgelenke zusammenschlossen, sie am Arm faßte und von dem brennenden Reisig fortzog.
»Komm«, sagte er und zog sie bei der Hand.
Sie blieb stehen und sah auf
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