Clark Mary Higgins
gerissener Geschäftsmann mit einem
unheimlichen Geschick, junge, unbekannte Entwerfer anzustellen und sie auszunutzen, bis sie sich erlauben konnten, von ihm
wegzugehen. Seinen jungen Designern verdankte es Steuber,
daß seine Kollektionen von Kleidern und Kostümen aufregend
und anregend waren.
Neeve sah ihn mit einem kalten Blick an. Er verdient doch
genug, dachte sie, auch ohne daß er Schwarzarbeiter betrügen
muß. Und falls er, wie Sal angedeutet hat, wegen seiner Einkommenssteuer in Schwierigkeiten ist – um so besser.
Sie gingen, ohne ein Wort zu sagen, aneinander vorbei, aber
Neeve hatte den Eindruck, als ob seine ganze Person Wut ausstrahlte. Sie hatte etwas von einer Aura gehört, welche die Menschen umgibt. Ich möchte lieber nicht wissen, von welcher Beschaffenheit seine Aura gerade ist, dachte Neeve, während sie
Sals Büro zustrebte.
Als die Empfangssekretärin Neeve erblickte, rief sie sofort im
Privatbüro des Chefs an. Einen Augenblick später flog die Tür
auf, und Anthony della Salva, für Neeve Onkel Sal, kam herein.
Sein Gesicht strahlte, als er auf sie zueilte und sie umarmte.
Beim Anblick von Sals Kleidung mußte Neeve lächeln. Er
war selber die beste Reklame für seine Frühjahrskollektion von
Herrenkleidern. Sein Anzug war eine Mischung aus Fallschirmspringer-Overall und Safari-Look. »Ich finde ihn großartig! In
einem Monat wird man ihm überall in der eleganten Herrenwelt
von New York begegnen«, lobte sie und gab ihm einen Kuß.
»Das ist schon heute der Fall, mein Schatz. Selbst in Iowa City reißt man sich bereits darum. Und das erschreckt mich ein
bißchen. Es muß bergab mit mir gehen. Komm! Laß uns rübergehen.« Auf dem Weg zu seinem Büro begrüßte er einige auswärtige Einkäufer. »Ist man Ihnen behilflich? Kümmert Susan
sich auch gut um Sie? Fein. Ach, Susan, zeigen Sie noch die
Freizeit-Modelle. Die werden sich verkaufen wie warme Semmeln, das verspreche ich Ihnen.«
»Onkel Sal, möchtest du dich selber um diese Kunden kümmern?« fragte Neeve, als sie den Showroom durchquerten.
»Ganz und gar nicht. Die werden zwei Stunden von Susans
Zeit vergeuden und am Ende nur drei oder vier der billigsten
Stücke kaufen.« Mit einem Seufzer der Erleichterung schloß er
die Tür zu seinen Privaträumen. »Es war ein verrückter Tag.
Woher nehmen die Leute bloß das Geld? Ich habe meine Preise
wieder erhöht. Sie sind geradezu unanständig, aber alle Welt
reißt sich darum, Expreß-Bestellungen aufzugeben.«
Er lächelte selig. In den letzten Jahren war sein rundes Gesicht pausbäckig geworden, und seine Äuglein verschwanden
immer mehr unter den schweren Lidern. Er und Myles und der
Bischof waren im selben Viertel in der Bronx aufgewachsen,
hatten zusammen Schlagball gespielt und waren gemeinsam auf
die Oberschule gegangen. Es war fast nicht zu glauben, daß
auch Sal achtundsechzig Jahre alt war.
Auf seinem Schreibtisch lag ein Durcheinander von Stoffmustern. »Ist das nicht das Letzte? Wir haben einen Auftrag, die
Innenausstattung für maßstabgetreue Mercedes-Modelle für
Dreijährige zu entwerfen! Als ich drei war, hatte ich ein kleines
rotes Blechauto aus zweiter Hand, das ständig eins seiner Räder
verlor. Und jedesmal, wenn das passierte, bekam ich von meinem Vater eine Ohrfeige, weil ich nicht sorgfältig mit meinem
Spielzeug umging.«
Neeves Stimmung wurde zusehends besser. »Ehrlich, Onkel
Sal, ich wünschte, ich hätte dich auf Band aufgenommen. Ich
könnte ein Vermögen damit machen, dich zu erpressen.«
»Zu gütig von dir. Setz dich. Trink einen Kaffee. Er ist frisch,
das verspreche ich dir.«
»Nur fünf Minuten. Ich weiß, daß du noch zu tun hast, Onkel
Sal.« Neeve knöpfte ihre Kostümjacke auf.
»Möchtest du nicht mal den Onkel weglassen? Ich werde zu
alt für diese respektvolle Behandlung.« Er betrachtete sie kritisch. »Du siehst wieder einmal sehr gut aus. Wie läuft das Geschäft?«
»Großartig.«
»Und wie geht es Myles? Ich habe gehört, daß Nicky Sepetti
am Freitag entlassen worden ist. Ich kann mir vorstellen, daß
ihm das ziemliche Bauchschmerzen macht.«
»Am Freitag war er sehr beunruhigt; am Wochenende ging es
ihm recht gut. Wie es jetzt ist, weiß ich nicht.«
»Lad mich doch diese Woche zum Abendessen ein. Ich habe
Myles schon seit einem Monat nicht mehr gesehen.«
»Abgemacht.« Neeve sah zu, wie Sal den Kaffee aus der Maschine ließ, die auf einem Tablett neben seinem Schreibtisch
stand. Sie blickte
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