Clark Mary Higgins
Brust brannte vor ständig neu
aufflammenden Schmerzen. Das Nitroglyzerin unter seiner Zunge nützte nichts. Wenn Kearneys Tochter etwas zustieß, würden
die Bullen nicht ruhen, bis sie es ihm angehängt hatten, und Joey
wußte das ganz genau.
Wie dumm es von ihm gewesen war, Joey auch noch vor Machado zu warnen! »Ausgeschlossen, daß der Bursche in Florida
für die Palino-Familie gearbeitet hat«, hatte er zu Joey gesagt.
»Du warst einfach zu beschränkt, um dich richtig über ihn zu
erkundigen. Stimmt’s? Du blöder Hund, jedesmal, wenn du den
Mund aufmachst, breitest du alles vor einem Bullen aus.«
Am Dienstag morgen erwachte Seamus Lambston nach vier
Stunden Schlaf, der von quälenden Träumen heimgesucht gewesen war. Um halb drei Uhr früh hatte er sein Lokal geschlossen,
noch eine Weile Zeitung gelesen und war dann ganz leise ins
Bett gekrochen, um Ruth nicht zu stören.
Als seine Töchter noch klein waren, konnte er morgens ausschlafen, erst am Mittag in die Bar gehen, zu einem frühen
Abendessen mit der Familie nach Hause kommen und dann
wieder zurückgehen, bis die Bar schloß. Aber in den letzten Jahren, seit es mit dem Geschäft unablässig bergab ging und die
Miete sich verdoppelte und verdreifachte, hatte er Barkeeper
und Kellner entlassen und die Speisekarte vereinfacht, bis er nur
noch Sandwiches zum Essen anbot. Er besorgte den ganzen
Einkauf selber, war bereits um acht oder halb neun im Lokal
und blieb, mit Ausnahme eines zu Hause hastig eingenommenen
Abendessens, bis zur Schließungszeit. Trotzdem konnte er sich
kaum über Wasser halten.
Ethels Gesicht verfolgte ihn in seinen Träumen. Ihre Froschaugen, wenn sie ärgerlich war. Ihr ironisches Lächeln, das er auf
ihrem Gesicht ausgelöscht hatte.
Als er am Donnerstag nachmittag zu ihr in die Wohnung gekommen war, hatte er ein Foto seiner Töchter hervorgezogen.
»Ethel«, flehte er sie an, »sieh sie dir an. Sie brauchen das Geld,
das ich dir bezahle. Gib mir eine Chance.« Sie hatte das Bild
genommen und eingehend betrachtet. »Das hätten meine Kinder
sein sollen«, sagte sie und gab ihm das Foto zurück.
Jetzt krampfte sich sein Magen vor Furcht zusammen. Die
Alimentenzahlung wurde am Fünften fällig. Morgen. Würde er
es wagen, den Scheck nicht auszuschreiben?
Es war halb acht. Ruth war schon aufgestanden. Er hörte das
Plätschern der Dusche. Er verließ das Bett und ging in das kleine Zimmer, das zugleich als Wohnraum und Büro diente. Von
den Strahlen der Morgensonne war es in ein grelles Licht getaucht. Er setzte sich an den Schreibsekretär, der schon seit drei
Generationen in seiner Familie war. Ruth haßte ihn. Sie hätte
viel lieber sämtliche alten, schweren Möbel durch moderne
Stücke in hellen, freundlichen Farben ersetzt. »Alle guten Möbel
hast du Ethel gelassen, als ihr euch getrennt habt«, hielt sie ihm
immer wieder vor. »Und ich mußte mit dem Krempel von deiner
Mutter leben. Die einzigen neuen Gegenstände, die ich je anschaffen! konnte, waren die Baby- und Kinderbetten für die
Mädchen, und auch die waren nicht das, was ich mir für sie gewünscht hätte.«
Seamus schob die quälende Entscheidung, ob er Ethels
Scheck ausschreiben sollte, hinaus und stellte zuerst ein paar
andere aus. Für Gas, Elektrizität, Miete und Telefon. Das Kabelfernsehen hatten sie schon vor einem halben Jahr abbestellt.
Dadurch sparten sie zweiundzwanzig Dollar monatlich.
Aus der Küche hörte er, wie Ruth den Kaffeekocher auf den
Herd setzte. Wenige Minuten später kam sie mit einem kleinen
Tablett ins Zimmer, auf dem sie ein Glas Orangensaft und eine
Tasse mit heißem Kaffee brachte. Sie lächelte, und einen Moment erinnerte sie ihn an die hübsche, ausgeglichene Frau, die er
drei Monate nach seiner Scheidung geheiratet hatte. Ruth neigte
nicht zu Zärtlichkeiten, doch als sie das Tablett neben ihn stellte,
beugte sie sich vor und drückte ihm einen Kuß auf den Kopf.
»Wenn ich dich da die monatlichen Schecks schreiben sehe,
wird es mir erst richtig bewußt«, sagte sie. »Kein Geld mehr an
Ethel. Mein Gott, Seamus, endlich können wir anfangen aufzuatmen. Laß uns das heute abend feiern! Nimm dir jemand, der
dich in der Bar vertritt. Wir sind seit Monaten nicht mehr zum
Essen ausgegangen.«
Seamus spürte, wie sein Magen sich zusammenkrampfte. Der
starke Kaffeeduft verursachte ihm plötzlich Übelkeit. »Liebling«, begann er zögernd, »ich kann nur hoffen, daß sie sich
nicht
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