Clark Mary Higgins
Myles’
Kindheit und waren aus englischem Steingut mit einem chinesischen Muster. Es war für Neeve undenkbar, den Tag ohne das
gewohnte Frühstücksgeschirr zu beginnen.
Neeve betrachtete ihren Vater aufmerksam. Er war wirklich
wieder der alte. Das lag nicht nur an Nicky Sepetti. Es war vor
allem die Aussicht, wieder zu arbeiten, eine Aufgabe zu übernehmen, die dringend war. Sie wußte, wie sehr Myles den Drogenhandel und seine entsetzlichen Folgen bedauerte. Und wer
weiß? Vielleicht würde er in Washington jemandem begegnen.
Er sollte wieder heiraten. Er war ein wirklich gutaussehender
Mann. Sie sagte es ihm spontan. »Dasselbe hast du mir schon
gestern abend gesagt«, antwortete Myles. »Ich überlege, ob ich
mich nicht für die Ausklappseite im Playgirl anbieten sollte.
Meinst du, daß ich Chancen hätte?«
»Wenn sie dich nehmen, werden die Damen Schlange nach
dir stehen«, bemerkte Neeve, während sie ihren Kaffee mit in
ihr Zimmer nahm. Es war höchste Zeit, sich fertigzumachen und
ins Geschäft zu gehen.
Als Seamus nach dem Rasieren aus dem Bad kam, stellte er fest,
daß Ruth weggegangen war. Einen Augenblick stand er unentschlossen da, schlurfte dann über den Flur ins Schlafzimmer,
löste die Schnur des braunen Frotteebademantels, den ihm seine
Töchter zu Weihnachten geschenkt hatten, und ließ sich aufs
Bett sinken. Die Müdigkeit war so überwältigend, daß er kaum
die Augen offenhalten konnte. Er hatte nur noch den einen
Wunsch, sich wieder ins Bett zu legen und zu schlafen, schlafen,
schlafen.
In diesen ganzen problembeladenen Jahren war es nie geschehen, daß Ruth nicht bei ihm geschlafen hatte. Manchmal konnten Wochen, ja Monate vergehen, ohne daß sie einander berührten; so sehr setzten ihnen die Geldsorgen zu, daß sie sich ausgebrannt fühlten. Doch auch dann hatten sie in stillschweigendem
Einverständnis nebeneinander gelegen, alle beide an die Tradition gebunden, daß eine Frau an der Seite ihres Mannes zu schlafen hatte.
Seamus blickte sich im Schlafzimmer um, sah es jetzt mit
Ruths Augen. Die Möbel hatte seine Mutter gekauft, als er zehn
war. Sie waren nicht antik, bloß alt – Mahagonifurnier, ein
schief im Rahmen hängender Spiegel über der Frisierkommode.
Seine Mutter hatte das Möbelstück mit viel Aufwand poliert und
sich gefreut, wie schön es glänzte. Für sie war die zusammengehörende Einrichtung mit Bett, Schrank und Kommode die Erfüllung ihres Wunschtraums von einem »schönen Heim« gewesen.
Ruth hatte dagegen immer Bilder aus House Beautiful ausgeschnitten von Zimmereinrichtungen, die sie sich gewünscht hätte. Moderne Möbel. Pastellfarben. Eine leichte, luftige Atmosphäre. Die Geldsorgen hatten Hoffnung und Fröhlichkeit auf
ihrem Gesicht ausgelöscht und sie zu einer zu strengen Mutter
für ihre Töchter werden lassen. Er erinnerte sich, wie sie Marcy
einmal angeschrien hatte: »Was fällt dir ein, dein Kleid zu zerreißen! Ich habe es mühsam zusammengespart.«
All das nur wegen Ethel.
Seamus stützte den Kopf in die Hände. Der Telefonanruf, den
er gemacht hatte, lag ihm auf der Seele. Es war ausweglos.
Gestern abend hätte er Ruth um ein Haar geschlagen. Die Erinnerung an die letzten Minuten bei Ethel, an den Augenblick,
als er jede Beherrschung verlor…
Er sank zurück aufs Kopfkissen. Was hatte es für einen Sinn,
in die Bar zu gehen, noch einen äußeren Schein zu wahren? Er
hatte einen Schritt getan, den er nie für möglich gehalten hätte.
Es war zu spät, ihn rückgängig zu machen. Das wußte er. Es
hätte auch nichts genützt. Das wußte er ebenfalls. Er schloß die
Augen.
Er hatte nicht gemerkt, daß er eingeschlafen war, aber auf
einmal war Ruth da. Sie saß auf der Bettkante. Der Ärger schien
aus ihrem Gesicht gewichen zu sein. Sie sah verwirrt aus, wie
von Panik ergriffen, wie ein Verurteilter vor dem Erschießungskommando.
»Seamus«, sagte sie, »du mußt mir alles erzählen. Was hast
du mit ihr gemacht?«
Am Freitag morgen traf Gordon Steuber um zehn Uhr in seinem
Büro an der 37. Straße ein. Er war im Aufzug mit drei korrekt
gekleideten Herrn hinaufgefahren, in denen er sofort die staatlichen Rechnungsprüfer erkannte, die wiedergekommen waren,
um ihre Nase in seine Buchhaltung zu stecken. Steubers Angestellten genügte ein Blick auf seine finstere Miene mit den zusammengezogenen Augenbrauen und sein wütender Schritt,
damit sich in Windeseile die Parole herumsprach: »Seht euch
vor!«
Er durchquerte
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