Claudius Bombarnac
Stunden. Sicherlich war es noch nicht hell, als ich wieder wach wurde.
Nachdem ich mir die Augen gerieben, richte ich mich in die Höhe, stehe auf und stütze mich auf die Schanzkleidung.
Seit der Wind mehr nach Nordwesten umgegangen ist, wird die »Astara« weniger vom Seegang geschaukelt.
Die Nacht ist kalt. Ich erwärme mich, indem ich eine halbe Stunde lang mit großen Schritten auf dem Verdeck umherlaufe. Plötzlich fällt mir ein, ob es nicht angezeigt sei, den Bahnhofsvorsteher von Uzun-Ada auf jenes beunruhigende Frachtstück aufmerksam zu machen; doch das ist ja meine Sache nicht, das wird sich vor der Abfahrt von dort schon finden.
Ich sehe nach der Uhr, es ist erst drei Uhr Morgens. Nun den alten Platz wieder eingenommen. Das thue ich denn auch, und den Kopf gegen die Wand des Kastens gelehnt, schließe ich die Augen …
Wie leicht erklärlich, genügte eine Stunde vollständig zur Besichtigung Uzun-Ada’s. (S. 52.)
Plötzlich ein neues Geräusch … jetzt kann ich mich nicht täuschen …. Ein halb unterdrücktes Niesen, das die Wand des Kastens erschüttert … Nein, in dieser Weise hat noch kein Thier geniest!
Wär’s möglich? In dem Kasten ist ein menschliches Wesen versteckt und läßt sich als Contrebande der schönen Rumänin auf der Groß-Transasiatischen Bahn befördern? … Doch ist das ein Mann oder ein Weib? … Es schien mir, als ob das Niesen einen mehr männlichen Klang gehabt hätte.
Jetzt konnte ich natürlich nicht mehr schlafen. Wie lange läßt der Tag noch auf sich warten, und wie drängt es mich, das Frachtstück näher zu untersuchen! Ich haschte nach kleinen Ereignissen; da läuft mir eins in die Hand, und wenn ich daraus nicht einen Bericht von fünfhundert Zeilen mache …
Endlich fliegt ein bleicher Schein über den östlichen Horizont. Die Wolken im Zenith erhalten davon die erste Färbung, zuletzt erhebt sich der Sonnenball, aber ganz naß von dem Staube der Wolken.
Ich sehe auf; ja, das ist der nach Peking bestimmte große Kasten; ich entdecke, daß in denselben da und dort Löcher gebohrt sind, um einen Luftwechsel im Innern zu ermöglichen. Vielleicht belauschen durch diese Löcher zwei Augen, was draußen vorgeht? … Doch, keine Indiscretion!
Zum Frühstück haben sich die von der Seekrankheit verschont gebliebenen Tischgäste von gestern eingefunden; der junge Chinese, der Major Noltitz, Fulk Ephrjuell, Miß Horatia Bluett, Herr Caterna (allein), der Baron Weißschnitzerdörser und sieben oder acht andere Passagiere. Ich werde mich hüten, dem Amerikaner das Geheimniß der Kiste anzuvertrauen. Er würde nur eine Indiscretion begehen, und dann Adieu mit meinem Bericht!
Gegen Mittag wird in der Richtung nach Osten Land gemeldet – ein flaches, gelbliches Land, ohne felsige Küste, nichts als Dünen, die sich in der Umgebung von Krasnovodsk weithin ausdehnen.
Um ein Uhr sind wir in Sicht von Uzun-Ada. – Ein Uhr siebenundzwanzig setze ich den Fuß auf asiatischen Boden.
Fünftes Capitel.
In früherer Zeit landeten die Reisenden in Mikhaïlov, einem kleinen Hafen und am Ausgangspunkte der Transcaspischen Bahn, hier fanden aber selbst Schiffe von mittlerem Tonnengehalt nicht hinreichende Wassertiefe. Das veranlaßte den General Annenkof, den Schöpfer des neuen Schienenweges, und den bedeutenden Ingenieur, dessen Name mir noch häufig unter die Feder kommen wird, zur Gründung von Uzun-Ada, wodurch die Fahrt über den Caspisee wesentlich abgekürzt wird. Die Einweihung dieser binnen drei Monaten hergestellten Station erfolgte am 8. Mai 1886.
Glücklicherweise hatte ich die Berichte des Ingenieurs Boulaugier gelesen, die das wunderbare Werk des Generals Annenkof behandeln. Das sicherte mir denn im Voraus einige Bekanntschaft mit dem Gebiete, das die Bahn von Uzun-Ada nach Samarkand durchschneidet. Uebrigens rechne ich auf den Major Noltitz, der gewiß über alle einschlägigen Verhältnisse unterrichtet ist. Mir ahnt, daß wir noch gute Freunde werden, und trotz des Sprichwortes:
»Selbst wenn dein Freund aus lauter Honig bestünde, so lecke nicht an ihm!« gedenke ich doch den Reisegefährten zum Besten meiner Leser auszusaugen.
Man spricht so häufig von der außerordentlichen Schnelligkeit, mit der die Amerikaner ihre Schienenstränge durch die Ebenen des Far-West vorgeschoben haben. Die Russen stehen gegen jene darin aber keineswegs zurück, wenn sie sie an Hurtigkeit und unternehmender Kühnheit nicht gar schon übertroffen haben.
Jedermann
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