Claudius Bombarnac
Gegend vorübergekommen Die Bahn beschreibt nun viele Windungen über Viaducte und durch verschiedene Tunnels, was wir an dem Hin-und Herneigen der Wagen erkennen.
Bald nachher sagt uns Popof, daß wir uns im Gebiete von Ferganäh befinden – das ist der alte Name von Kokhan, das von Rußland 1876 mit den sieben Bezirken, die dazu gehören, annectirt wurde. Die Einzelbezirke, in denen Sarthen die Mehrzahl der Bewohner bilden, werden von Vorstehern, Untervorstehern und Bürgermeistern verwaltet. Man muß wirklich nach Fergauah gehen, um fast das ganze Räderwerk des Jahres VIII in Thätigkeit zu sehen.
Weiterhinaus liegt wieder eine ungeheure Steppe. Frau von Ujfalvy-Bourdon hat diese ganz treffend mit einer Billardtafel verglichen, so vollkommen horizontal liegt sie vor uns. Nur rollt keine Elfenbeinkugel über ihre Oberfläche hin sondern ein Schnellzug der Groß-Transasiatischen Bahn mit der Geschwindigkeit von sechzig Kilometern in der Stunde.
Nachdem wir die Station Tchutchaï hinter uns gelassen, fahren wir um neun Uhr Abends in den Bahnhof von Kokhan ein. Der Aufenthalt soll zwei Stunden dauern. Wir steigen also nach dem Perron hinunter.
Gerade auf den Stufen nähere ich mich dem Major Noltitz, der an den jungen Pan-Chao die Frage richtet:
»Kennen Sie vielleicht diesen Mandarinen Yen-Lou, dessen Leiche man hier nach Peking zurückbefördert?
– Nicht im Geringsten, Herr Major.
– Es muß doch, nach den ihm erwiesenen Ehrenbezeugungen zu urtheilen, eine ganz hervorragende Persönlichkeit gewesen sein ….
– Das ist wohl möglich, antwortet Pan-Chao, wir haben im Himmlischen Reiche gar so viele hervorragende Persönlichkeiten.
– Und dieser Mandarin Yen-Lou also? …
– Von dem hab’ ich noch nie ein Wort gehört.«
Warum mag der Major Noltitz den jungen Chinesen in dieser Weise gefragt und mit welchen Gedanken mag er sich da wohl früher getragen haben?
Fünfzehntes Capitel.
Kokhan, zwei Stunden Aufenthalt. Es ist Nacht. Die meisten Reisenden haben sich in den Waggons zum Schlafen zurecht gemacht und verzichten darauf, abzusteigen.
Da bin ich nun auf dem Perron und spaziere rauchend auf und ab. Dieser Bahnhof ist ziemlich bedeutend und seine Ausrüstung gestattet, an Stelle der Maschine, die unsern Zug von Uzun-Ada bis hierher gebracht hat, eine kräftigere Locomotive zu setzen. Jene ersten Maschinen reichten wohl aus, als der Zug über eine fast horizontale Ebene hinrollte. Jetzt befanden wir uns aber schon inmitten der Schluchten des Hochlandes von Pamir; da kommen Strecken mit recht ansehnlicher Steigung vor, die eine größere Zugkraft nöthig machen.
Ich sehe dem Maschinenwechsel zu, und nachdem unsere Locomotive mit dem Tender losgekuppelt worden ist, befindet sich der Packwagen mit Kinko an der Spitze des Zuges.
Da fällt mir ein, daß der junge Rumäne sich vielleicht gar auf den Perron hinauswagen könnte. Das wäre eine Unklugheit, bei der er Gefahr liefe, von den Beamten gesehen zu werden, und diese, eine Art »Gardovoïs«, laufen immer hin und her und halten alles scharf im Auge. Meine Nummer 11 kann gar nichts besseres thun, als ruhig in ihrem Kasten zu bleiben oder wenigstens den Packwagen nicht zu verlassen. Ich werde mich mit einigen festen und flüssigen Nahrungsmitteln versorgen und sie ihm nach der Wiederabfahrt bringen, wenn mir das, ohne Gefahr bemerkt zu werden, irgend möglich ist.
Das Buffet des Bahnhofs ist offen und Popof scheint nicht in der Nähe zu sein. Sähe er mich hier Verschiedenes einkaufen, so würde ihn das mit Recht wundern, denn der Restaurationswagen bietet ja Alles, was wir brauchen.
Etwas kaltes Fleisch, Brot, eine Flasche Wein – das ist es, was das Buffet mir liefert.
Der Bahnhof ist etwas dunkel; seine wenigen Lampen verbreiten nur ein schwaches Licht. Popof ist nebst einem andern Beamten dienstlich beschäftigt. Die neue Locomotive ist noch nicht in Bewegung, um sich vor den Zug zu stellen. Da scheint mir der Augenblick günstig. Es ist unnöthig zu warten, bis wir Kokhan wieder verlassen haben. Nach meinem Besuche bei Kinko könnte ich wenigstens die Nacht hindurch einmal schlafen – und offen gestanden, ich sehne mich stark danach.
Ich besteige also die Plattform, und nachdem ich mich überzeugt, daß mich Niemand sehen kann, dringe ich in den Packwagen ein, doch gleich mit den Worten:
»Ich bin’s!«
Es erschien mir gerathen, mich Kinko anzumelden, für den Fall, daß er seinen Kasten verlassen hätte.
Das hatte er jedoch nicht
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