Claustria (German Edition)
Bekommt kaum Luft. Bald senkt sich wieder Dunkelheit über den Raum.
Er kommt später wieder, nach einer Stunde oder einem Tag.
,,Iss.“
Er wirft ihr einen Kanten Brot hin.
,,Deck dich zu, du verkühlst dich.“
Er legt ihr eine Decke um die Schultern.
,,Sie kratzt ein bisschen, ist aber besser als nichts.“
Am Waschbecken füllt er einen Kübel, kippt ihn auf die Urinpfütze, füllt ihn erneut, stellt ihn neben sie.
,,So kannst du bequemer trinken.“
Ein dünnes, angewidertes Lächeln.
,,Und dann kannst du dich auch ein bisschen sauber machen.“
Er geht.
Er kommt oft. Dann kommt er nicht mehr. Sie denkt, er würde nie mehr wiederkommen. Sie schreit, aber ihre Stimme bricht. Als er wiederkommt, schlägt er sie ins Gesicht.
,,Ich will keinen Lärm, das regt deine Mutter auf.“
Sie blutet. Er dringt in sie ein. Er geht.
Ein Schwarzweißfoto aus Fritzls Archiv. Ein Gesicht, Haare, eine Kette, offener Mund wie ein Schrei auf dem dunklen, körnigen Bild. Fritzl hat es selbst entwickelt, um bei einem Fotolabor keinen Verdacht zu wecken.
Der Polizist legte ihm das Foto vor.
,,Ich erinnere mich.“
Wehmut in seinem verschleierten Blick.
,,Ich hab’ es eine Woche nach ihrer Ankunft dort unten gemacht. Als Erinnerung, wissen Sie?“
Er lächelte.
,,Die Kette hat uns beim Sex gestört.“
Der Polizist sah ihn an, seine Hände verharrten reglos über der Computertastatur.
,,Es war unpraktisch. Ich musste aufpassen, damit ich mich nicht an der Kette aufkratze und verletze.“
Schlüpfriges Lächeln.
,,Verstehen Sie?“
Der Polizist notierte Fritzls Aussage.
Befreit von diesen Fesseln fühlte Angelika sich freier und zog eine gewisse Freude daraus. Die Wunde rings um ihren Hals begann zu heilen. Als der Schorf abgefallen war, blieb lediglich eine rosa Narbe zurück, so lang wie ein dickes Perlencollier.
Wenn Fritzl ging, löschte er immer das Licht, aber nun konnte sie zum Schalter gehen. Hörte sie dann, wie er die ersten Türen öffnete, machte sie das Licht schnell wieder aus. Manchmal berührte er die Birne, wenn er kam; wenn sie heiß war, verdrosch er sie.
,,Du hast mich seit deiner Geburt schon genug gekostet!“
Die Narbe wurde langsam weiß. Nachdem Angelika aus dem Keller gekommen war, trug sie noch lange ein Halstuch, um sie zu kaschieren, irgendwann aber war es ihr egal.
Steife, zerkratzte Beine voller blauer Flecken, weil sie sich jedes Mal aufschürfte, wenn sie zum Waschbecken kroch. Sie lernte daraus, kleine Schritte zu machen. Das Rückgrat schmerzte beim Durchdrücken. Sie ging gebeugt. Schmerz, wenn sie sich aufrichtete. Dann krümmte sie sich wieder erschöpft auf dem Boden zusammen.
Erlösung. Nach ein paar Tagen war ihr Körper wieder gelenkig. Die Freude, wieder Bewegungsfreiheit in diesem engen Raum zu spüren. Sie fasste sich ein Herz, machte lange Spaziergänge. Kilometerweit an den Wänden entlang, der Rausch der Müdigkeit, der Erschöpfung. Sich hinlegen, selig auf dem Boden einschlafen. Einmal wollte sie rennen und ist gleich hingefallen.
Sie wurde eine ganz normale Gefangene. Der Wunsch, auszubrechen – die Obsession aller Häftlinge. Sie versuchte die Tür aufzubrechen, indem sie sich dagegenstemmte, mit den Händen dagegenschlug, mit den Füßen dagegentrat. Sie sprang hoch in dem Versuch, die Decke zu durchbrechen, doch es war nicht das wackelige Dach einer Puppenstube.
Sie hörte Straßenlärm, Schritte auf der Treppe, Gespräche bei Fritzls, deren Fernseher und noch deutlicher die Apparate der Mieter. Doch ihre Schreie kamen nicht so weit hinauf. Das Verlies verschluckte sie, bevor sie überhaupt aufsteigen konnten, lediglich ein Murmeln drang nach oben.
Sie ging davon aus, dass die Rohrleitungen den Schall bis in die Küchen und Bäder im Erdgeschoss und im ersten Stock leiten würden. Zuerst versuchte sie, mit dem Kübel gegen das einzige Rohr der Kaltwasserleitung zu schlagen. Doch Fritzl hatte vorausschauend den Metallhenkel durch ein Stück Hanfseil ersetzt, und Plastik schepperte nicht. Sie versuchte es mit dem gekrümmten Zeigefinger, mit der Faust, den Füßen. Das Geräusch war zu leise, sie hörte deutlich, wie es erstarb, bevor es sich nach oben fortpflanzen konnte. Sie hätte einen Stein gebraucht, einen ganz normalen kleinen Kieselstein. Ein Blechnapf hätte es auch getan, aber Fritzl warf ihr das Essen auf den nackten Boden hin, und ihre Kiefer dienten als Messer und Gabel, ihre Hand als Löffel, um auch noch den letzten Rest aus dem
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