Claustria (German Edition)
weckte, die im Nachthemd den Kopf aus dem Fenster streckte und grantig vor sich hin brummte. Der Vater wurde lauter, langsam kamen Schreie aus seinem Horn.
,,Vielleicht bekommst du Kinder. Ich bin noch jung genug, um dir dabei zu helfen, welche zu machen und sie zu erziehen.“
Er war stehen geblieben. Angelika ging weiter. Er holte sie ein und nahm sie sanft am Arm.
,,Bist du müde? Zu viel Spaß, zu viele Feste. Es ist Zeit, dass du dich ausruhst.“
Er holte den Schlüsselbund aus der Hosentasche. Benommen von dem Summen, das so lange aus dem Maul ihres Vaters gekommen war, ging sie ins Haus wie ein Fisch in die Reuse.
,,Deine Mutter wartet auf uns.“
Angelika erzählte der Polizei von diesem Spaziergang.
,,Er redete und redete. Hätte er aufgehört zu reden, wäre ich zu mir gekommen und weggelaufen.“
,,Was hat er gesagt?“
,,Ich erinnere mich nicht mehr.“
Zu Zeiten der Todesstrafe redeten die Advokaten beim Gang auf den Richthof unablässig auf ihre Mandanten ein und hofften, ihr Redefluss würde sie so groggy machen, dass sie sich fesseln ließen und ohne Geschrei aufs Schafott stiegen.
,,Ich bin mit ihm in die Wohnung gegangen. Meine Mutter ist auf dem Gang gestanden. Sie hat mir Angst gemacht, ich habe gesehen, wie sie vor Hass rot angelaufen ist.“
,,Mein Vater hat ihr ein Zeichen gegeben, dass sie sich nicht rühren soll. Sie wollte sich auf mich stürzen. Sie hat angefangen zu schreien, zu schimpfen, zu drohen.“
,,Drohungen welcher Art?“
,,Ich weiß nicht, er ist mit dem Finger über die Lippen gestrichen und hat sie zum Schweigen angehalten.“
,,Über die Lippen Ihrer Mutter?“
,,Nein, über seine. Von links nach rechts. Das hat er oft gemacht, wenn jemand zu viel geredet hat. Dann sind wir reglos verharrt, wie strammgestanden. Er hat auch zugeschlagen.“
Angelika zog eine weitere Zigarette aus der Packung, die der Polizeibeamte vor sie hingelegt hatte. Im Keller war man fast im Rauch erstickt. Sie war immer auf einen Sessel gestiegen und hatte den Qualm durch das Lüftungsgitter gepafft. Er hing im Schacht und quoll dann wieder in den Keller zurück. Die Kinder husteten die ganze Nacht. Angelika zerbrach eine Zigarette nach der anderen über dem Mistkübel. Sie schwor sich, nicht mehr damit anzufangen.
Aber Fritzl brachte immer wieder neue Packungen und versprach ihr, sie alle zu vergasen, bevor der Krebs ihre Bronchien zerfressen könnte. Angelika kämpfte, aber die Versuchung gewann wieder die Oberhand. Manchmal rauchte Fritzl eine Zigarre, bevor er wieder verschwand. Er ging nach Luft schnappend weg, und sie hörten ihn lachen, als sie sich auf den Boden legten, um nicht im Rauch zu sitzen, der über ihren Köpfen schwebte.
Zu sehen, wie der Rauch aus dem Zimmer des Inspektors durch das offene Fenster abzog, verschaffte ihr ein wundervolles Gefühl.
,,Frieren Sie auch wirklich nicht?“
,,Nein, mir geht es gut.“
Sie hatte den Sessel zurückgeschoben und den Heizkörper umarmt.
,,Hat er Sie in jener Nacht in den Keller gesperrt?“
,,Nein, ich habe bis zum nächsten Morgen in meinem Bett geschlafen.“
Sie schauderte. Der Beamte stand auf und schloss das Fenster.
,,Nein, bitte nicht!“
Drei Tage zuvor war sie aus dem Keller gekommen. Das Tageslicht blendete sie trotz der Sonnenbrille. Die Weite der Landschaft machte sie schwindeln. Aber es war Nacht, das Licht im Hof kam ihr schwach vor und beschien auch nur eine hohe Mauer.
,,Es war das letzte Mal, dass ich oben geschlafen habe.“
Ein paar Tränen. Am nächsten Tag fand die Befragung im Klinikum statt, wo die Familie von nun an wohnte.
Angelika wachte gegen neun Uhr auf. Josef und Anneliese Fritzl hatten die ganze Nacht abwechselnd vor ihrer Tür Wache gehalten. Bei Tagesanbruch hatte Fritzl die Kinder zu seiner Schwägerin gebracht.
Als Angelika aus ihrem Zimmer kam, sah sie sich dem Lächeln ihres Vaters gegenüber.
,,Hast du gut geschlafen?“
,,Ich dusche, dann geh’ ich. Thomas wird schon auf mich warten.“
,,Deine Mutter hat dir Frühstück gemacht.“
,,Keinen Hunger.“
,,Du musst Kraft tanken.“
Er begleitete sie in die Küche. Auf dem Tisch Kakao in einem großen Becher, gebuttertes Toastbrot, eine Scheibe Schinken, Spiegeleier. Normalerweise trank sie nur eine Tasse Kaffee. Ihre Mutter hatte sich nie darum geschert, dass sie das Haus mit leerem Magen verließ.
,,Das alles kann ich niemals essen.“
Sie merkte, dass sie sich schon auf den Hocker setzte – Fritzl stand hinter ihr,
Weitere Kostenlose Bücher