Claustria (German Edition)
Röhre zu durchbrechen. Darin würde er ein Stockbett bauen. Ein enger Raum, aber kein Schrank, ein kleines, nettes Zimmerchen mit ein paar Spielsachen, aber ohne Fenster. Stellenweise würde er einen PVC-Boden legen, der dem Keller einen wohnlichen Anstrich geben sollte.
Angelika konnte ein Lächeln der Genugtuung nicht unterdrücken. Wenn man dazu verdammt ist, nie wieder aus dem Haus zu gehen, und die Wände nicht einreißen kann, träumt man davon, sie zu verschieben. Sie erinnerte sich an eine Sendung des Bayerischen Fernsehens, Wie richte ich mein Nest her. Sie träumte von hellen Möbeln, Tapeten, Sisalteppichen, Hängelampen, um die Sonne hereinzulassen, einem Kanapee, auf dem sie mit Sonnenbrille Mittagsschlaf machen könnte, einem kleinen Rollsekretär, einem Polstersessel mit rotem Lederbezug.
Fritzl testete die Kochplatten.
,,So, jetzt kannst du richtig kochen.“
Er brachte ihr ein Kochbuch und Küchengerät, von dem sie kaum die Preisschilder abbekam.
Fritzl schmeckten Angelikas Gerichte. Er wird sich während der Haft daran erinnern und das Gefängnisessen verfluchen.
,,Nichts geht über Selbstgekochtes!“
Die Aufseher sagten dann immer, dass im Gefängnis auch selbst gekocht wurde.
Im Oktober 1986 ist Angelikas Periode schon einen Monat überfällig. Schwindel, Mattigkeit und manchmal auch ein seltsames Völlegefühl. Das wird sie bei jeder folgenden Schwangerschaft so erleben.
Am 15. Dezember hat sie eine Fehlgeburt. Fritzl nimmt den Fötus in einem Schuhkarton mit. Er begräbt ihn wie eine Katze im Garten zwischen zwei Thujen.
Im Herbst 1988 war Angelikas Bauch so gewachsen, dass an einer Schwangerschaft kein Zweifel mehr bestand. Drei Tage vor Petras Geburt informierte Fritzl Angelika über ihre Rolle: Sie würde Kinder zur Welt bringen, er würde sie dann in eine Decke gehüllt mitnehmen.
,,Wir adoptieren sie. Deine Mutter wird sie als Nachzügler ausgeben.“
Ein spitzes Lächeln, scharf wie eine Verätzung.
,,Das ist kein Leben für ein Kind – immer eingeschlossen zu sein.“
Sie hielt ihre Tränen zurück. Trotzdem rote Augen im Licht der Glühbirne.
,,Meinst du nicht auch?“
Keine Antwort. Die Tränen flossen.
,,Wie egoistisch du bist! Du willst wohl immer nur mit Puppen spielen.“
Er packte sie am Kinn, schüttelte ihren Kopf. Sie ließ ihn machen.
,,Du wirst Mutter. Zeit, dass du nicht mehr nur an dich denkst, dass du dich vergisst. Dein Kind muss an erster Stelle kommen!“
Sie fing an zu zittern, erlitt einen Nervenzusammenbruch. Er füllte den Kübel, schüttete ihr das Wasser über den Kopf. Sie warf sich auf ihn, kratzte ihn. Er stieß sie aufs Bett.
,,Die Nacht bringt Trost.“
Eine lange Nacht, die eine Woche dauerte. Kein Strom, hin und wieder Wasser. Sie entband in Dunkelheit. Tastend durchtrennte sie die Nabelschnur mit einer Kinderschere, die er ihr als Instrument gegeben hatte. Durch die runden Enden war sie als Waffe unbrauchbar.
Ein Tier, das in seinem Bau Junge wirft.
Petra wurde am 6. Januar 1989 geboren. Angelika hatte keine Möglichkeit, Daten und Jahreszahlen zu wissen, aber Fritzl verzeichnete es sicherlich in seinem Logbuch.
Ein prachtvolles Baby, dessen Geburt in Gefangenschaft zu Angelikas Marter beitrug, denn sie hatte vier Stunden lang Wehen gehabt. Doch es war ein Säugling mit hübschem Gesicht. Bei Licht hätte sie sehen können, dass es bereits so rosig und ausgeruht war wie ein Kind, das eine Woche alt war.
Anneliese hörte die Qualen. Ihr Gewissen verbat ihr, die Schreie ihrer Tochter zu erkennen. Sie beklagte sich bei Fritzl über die Niederkunft irgendeiner zimperlichen Frau in einer unbekannten, fernen Klinik, deren Lärm an diesem Tag durch Amstetten hallte.
,,Ich glaube, ich höre es auch.“
,,Das ist Lärmbelästigung.“
,,Wenn das so weitergeht, rufe ich im Rathaus an.“
Das Gebrüll verstummte, wurde abgelöst durch die Schreie des neugeborenen Kindes.
,,Jetzt hört es sich an wie Babyjammern.“
,,Aber nein!“
Anneliese schrieb es sich hinter die Ohren. Bis zum Schluss verfolgte sie den Fortsetzungsroman des Lebens des Kellervölkchens. Sie hörte die Kinder groß werden, ihr Wimmern wurde zum Lallen, dann hieß es ständig und immer ,,Mama, Mama“, verdrehte Sätze, Geplapper von Kleinkindern, die die Sprache entdecken, Schelte, Watschen, die Angelika austeilte, um die Ordnung auf diesem engen Raum aufrechtzuerhalten.
Anneliese meinte dauernd, ihren Ohren nicht zu trauen, sie sagte sich, sie verhöre sich.
Weitere Kostenlose Bücher