Claustria (German Edition)
Jugend hatte sie dem Hahn nur die Hand an den Hals legen müssen, und er hatte zu schreien aufgehört. Manchmal prahlte sie sogar in den Geschäften damit, dass selbst Stechmücken Angst vor ihr hätten.
,,Auch im Hochsommer wird bei uns keiner gestochen!“
Die Tierchen flüchteten wohl vor dem Geruch der Frau, die nie duschte und sich auch nur dann notdürftig wusch, wenn sie Zeit dazu hatte.
Als Fritzl am Abend nach Hause kam, hielt sie sich zurück, um ihm nicht die erste Szene ihrer Ehe zu machen – ein Mann, der so eigenwillig war, dass er noch in einem Alter Kinder zeugte, in dem Frauen längst auf Sex verzichteten! Das Kind wäre Halbwaise, bevor es noch volljährig wäre. Seine Erziehung würde unter diesem Verlust so leiden, dass es ein Taugenichts werden würde. Überdies verhätscheln alte Männer, die sich zur Fortpflanzung hinreißen lassen, diesen Nachzügler, sie lassen ihm alles durchgehen, lachen über seine Albernheiten und ersetzen Watschen durch Küsse.
Sie hatte nicht unrecht. Fritzl erhob nie die Hand gegen Roman, und wenn Angelika ihren Sohn in seinem Beisein ohrfeigte, bekam sie dafür eine geschmiert. Mit diesem Kind entdeckte Fritzl in fortgeschrittenem Alter die Kunst, Großvater zu sein. Schlüsselanhänger, Schokoladenfiguren, kleine, billige Spielsachen, ein ganzer Haufen winziger Aufmerksamkeiten, auf die die älteren Kinder eifersüchtig waren. Roman war der erste von Fritzls Sprösslingen, der dessen Lippen auf der Stirn spürte, ja manchmal sogar eine zärtliche Umarmung.
Ein beiderseitiges Auseinandergerissensein, als die Polizei die beiden trennte.
Im letzten Moment traute Anneliese sich doch nicht, eine Bemerkung zu machen.
,,Von irgendwoher habe ich Lärm gehört.“
,,Die Stadt ist zurzeit laut.“
,,Es klang wie das Winseln von Welpen.“
,,Das sind Vögel.“
,,Sehr lautes Winseln.“
,,Tja, wie soll man Vögel zum Schweigen bringen?“
Sie sah ihn mit offenem Mund an. Dann kam ihr eine Idee.
,,Mit einem Gewehr.“
Fritzl bedachte sie mit einem Lachen. Anneliese hatte noch nie gelacht. Ohne eine Antwort verzog sie sich in die Küche.
Ein ruhiges Abendessen bei den Fritzls. Er hatte gute Lust, seinen Kindern von oben zu verkünden, dass unten ein kleiner Bruder zur Welt gekommen war. Fritzl war aufgedreht. Die Geburt hatte ihn verjüngt. Er wünschte sich, seine Mutter wäre noch hier, damit er ihr das Baby zeigen könnte, diesen Beweis seiner triumphalen Männlichkeit.
Die Nacht war laut. Nachdem er Anneliese versichert hatte, dass es im Haus still sei, schlief sie bis zum Morgen fest durch. Und ihn wiegten die Geräusche, ein leichter Schlaf mit Kindergeschrei als Hintergrundmusik seiner Träume.
Am Morgen trällerte er nach dem Kaffee. Er sagte sich, diese Geburt bringe ihm Glück. Tags zuvor hatte er seiner Bank die Zusage für einen neuen Kredit abgerungen, mit dem er ein Brachgelände kaufen könnte. Fünfhundert unbebaute Quadratmeter, auf denen er ein großes Landhaus errichten wollte. Er würde die Stadtverwaltung vor vollendete Tatsachen stellen und hätte es vor den ersten Abrissaufforderungen schon verkauft.
Anneliese saß auf einem alten Hocker vor dem Kühlschrank und starrte ihn an.
,,Bei diesem schlechten Wetter werden die Vögel heute den Schnabel halten.“
Da es regnete, nickte Anneliese.
Er fuhr mit dem Auto zu der Brache. Im Norden grenzte sie an eine Gartenkolonie, im Süden lag sie zum Gebirge hin.
,,Eine große Sonnenterrasse!“
Ihm kam sogar die Idee, das Gebäude mit einem Obstgarten zu umgeben. Beete mit Lauch, Rübchen und ein Gewächshaus mit Tomaten.
,,Heutzutage pflücken die Leute sich die Zutaten für ihre Suppe gern selbst.“
Angelika hatte bei der Geburt stark geblutet. Sie war zu erschöpft, um die Bettwäsche zu wechseln, das übernahmen die Kinder. Ein großer, länglicher Fleck auf der Matratze. Angelika bat sie, sie umzudrehen. Der Schaumstoff war durchtränkt. Ein dunkelbrauner Hof und ein paar rote Punkte.
Fünf Jahre später würde die Kriminaltechnik die Matratze in einer Hülle aus dem Keller holen. Nach acht Tage währenden Analysen sollte sich herausstellen, dass sie voll war mit Spuren von Körperflüssigkeiten der beiden Erwachsenen und der beiden ältesten Kinder.
,,Roman hat nur darauf gepinkelt.“
Der Bericht wurde nicht veröffentlicht. Die Richterin, die Staatsanwältin, der Rechtsanwalt und auch die drei Psychiater erhielten keine Kenntnis davon. Ein Bericht, der nicht über ein Gerücht
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