Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
Vom Netzwerk:
seine Ökonomie zu modifizieren.
    ,,Man muss auch über die Durchführbarkeit nachdenken.“
    Derart esoterische Worte aus den Fernsehnachrichten durchzogen die Vorhersagen erfahrener Wirtschaftswissenschaftler über die Unabwendbarkeit von Krisen oder die Unvermeidlichkeit wiedererstarkten Wachstums.
    ,,Wir müssen uns an die Arbeit machen.“
    Der Keller ist wie ein Bienenstock. Die Bienenkönigin am Tisch vor ihrem Heft hört ihren Beratern aufmerksam zu, notiert sich ihre begründetsten Vorschläge und weist ihre Hirngespinste lakonisch zurück.
    ,,Wir dürfen keine Zeit verlieren. Das ist kein Spiel.“
    Martin und Petra meinten, sie könnten lesen und schreiben. Auf Fetzen von Kartons oder auf ihre Handflächen schrieben sie Wörter mit stocksteifen Buchstaben. Angelika transkribierte sorgfältig die kabbalistischen Formeln und unterstrich jene rot, die ihr voller Sachverstand und Verheißungen zu sein schienen.
    Roman strotzte vor Einfallsreichtum. Er dachte, mit vereinten Kräften könnte die Familie die Wände zurückschieben, und indem man sich auf den Tisch stellte, könnte man die Decke so weit anheben, dass man dem weiten Himmel, den man im Fernsehen sah, Konkurrenz machen könnte.
    Wenn man auf dem Boden herumtrampelte, würde er irgendwann von selbst oder mit Gewalt einbrechen, und der Keller würde tief genug werden, um einen See anzulegen, wo man baden oder Boot fahren könnte. Die Kinder von oben würden neidisch werden mit ihrem armseligen Pool, in dem sie auf Familienfotos planschten, die ihre Mutter aus Kummer und Wut zum Heulen brachten.
    ,,Wir könnten ein Flugzeug kaufen.“
    Der Keller wäre dann zu groß, um zu Fuß zu gehen. Selbstverständlich hätten sie Fahrräder für das Zurücklegen ihrer täglichen Wege, aber das Land, das sie Schritt für Schritt erobern würden wie Kolonisten, die nach und nach den Dschungel roden und aus ihrem Territorium ein ganzes Reich machen, war auf dem Luftweg besser zu durchqueren als mit der Eisenbahn.
    ,,Außerdem bräuchten wir viele Gleise.“
    Roman legte die Hände an die Zimmerwände und drückte mit aller Kraft, um den anderen Mauern ein Beispiel zu geben. Fügsame Wände, liebe Kinder, die es mit sich machen ließen. Er gewann einen, zwei oder drei Meter, aus denen er einen Fahrradunterstand machen konnte.
    Er stieg in die Badewanne, die Fliesen fühlten sich unter seiner Handfläche weich an, aber das Bad war bockig. Es weigerte sich, zurückzuweichen, und er musste wütend werden, damit es sich auch nur ein klein wenig weitete. Es war schon so groß wie eine Entenpfütze.
    ,,Tweety hat keine Angst vor Enten.“
    Er könnte endlich kopfüber ins Wasser springen und Fische fangen. Petra würde sie einfrieren.
    ,,Papa soll Zitronen mitbringen.“
    Ansonsten wäre es besser, Zitronen-, Orangen-, Schokoladen- und Zuckerlbäume zu pflanzen. Man würde sogar Farbstifte, Bildschirme, Teller für Mama anbauen, die sich immer beklagte, dass sie zu wenig hatte, weil sie hinunterfielen oder an den Rand des Spülsteins schlugen.
    ,,Wir lassen auch Menschen wachsen.“
    Bäume voller Schwestern, Brüder, Freunde. Schwarze, Gelbe, Rote, ja sogar Blaue, die aus der Erde schössen wie Kohlköpfe.
    ,,Man muss sie nur mit Farbe gießen. Und dann bohren wir Löcher in unseren Himmel.“
    Sie werden die Familie von oben durch die Bullaugen hindurch auslachen. All diese armen Leute werden sich um sie herum drehen und sich auf dem Plexiglas gegenseitig erdrücken. Sie können sich über deren faule Sonne lustig machen, die immer kurz davor ist, sich hinter dem Mond schlafen zu legen. Bei ihnen wird die Sonne immer im Zenit stehen, und um zu schlafen, müssen sie sich unter Markisen legen.
    ,,Und wenn wir wollen, schließen wir eine Maschine an, die Nacht macht.“
    Petra strich Roman über den Kopf und ermutigte ihn, diese paradoxe Welt zu perfektionieren. Angelika hörte ihm schon gar nicht mehr zu, solche Mühe hatte sie, Martins Hieroglyphen zu entziffern, der wiederum zu beschäftigt war, um sich um das Geschwätz des Kleinen zu kümmern.
    Zwei Tage Ablenkung. Das Kellervölkchen geht an Bord eines Schoners mit strahlenden, fantastischen Konquistadoren. Wie Hans-guck-in-die-Luft suchten sie, mit der Nase im Wind, mit den Augen die Wolken, die ihre erhörten Gebete auf sie herunterregnen lassen würden.
    Roman war oft zum Umfallen müde, er steckte sich den Daumen in den Mund und legte sich auf den Boden, auf einen Sessel oder in die Badewanne, wenn er nicht mehr

Weitere Kostenlose Bücher