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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition)
Autoren: Régis Jauffret
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einen Topf mit Wasser zu legen.
    Ein Keller wie ein englischer Garten. Sie erfanden Haine und verborgene Winkel, mitunter konspirierten sie wie Terroristen und ließen sich verschlüsselte Botschaften zukommen während eines allgemeinen Gesprächs über den Plan, ein kleines aufblasbares Schwimmbad zu besorgen, damit sich die Familie während der Augusthitze abkühlen könnte.
    Eine versponnene Idee von Angelika, sie wollte ihr Reich ausstatten wie ein Dorf. Im Herbst würde man das Schwimmbad dann in eine Tasche stopfen. Beim Teleshopping träumte sie von zusammenklappbaren Sportgeräten. Schaukel, Trapez, Ringe, die man am Ende der Übungen nur wieder auf die an der Decke befestigte Stange ziehen müsste. Zwei, drei Quadratmeter Rasen voller Bonsais, eingefasst mit weißem Kies.
    ,,Und in der Mitte ein kleiner Brunnen.“
    Man müsste nur ein schönes Licht anbringen, damit die Sonne schien. Das Grün würde die Ausdünstungen und das Kohlendioxid aufnehmen. Der Keller würde ein neues Mikroklima bekommen. Über dieses Ökotop könnte eine Zeitschrift ein Sonderheft mit Fotos und einem Begleittext über erfolgreiche nachhaltige Raumentwicklung herausbringen.
    Aus der Trockentoilette würde man Dünger gewinnen, auf dem Babygemüse gedieh, gezogen in Beeten, die das Völkchen morgens und abends gießen müsste. Angelika stellte sich vor, wie die Kinder zur Erntezeit mit einer Butte auf dem Rücken zum Pflücken schritten wie ein Trio fröhlicher Weinleser.
    ,,Wir können unser Heim in ein klitzekleines Paradies verwandeln.“
    Die Fantasie eines kleinen Kindes, das glaubt, sich im Fach eines Schranks eine Welt einrichten zu können. Angelika malte sich aus, den Keller mit fototherapeutischen Lampen vollzuhängen, angeschlossen an einen Wechselschalter. Sie würden Morgenrot, hellen Mittag und Dämmerung simulieren, bevor sie sich nachts ausschalteten. Ein Lampion aus weißem Papier, den man den Mondphasen entsprechend ab- oder aufdeckte, würde über sie wachen.
    Aus fluoreszierenden Sternen, die man kaufen konnte, würde sie den Großen Bär, Sirius, Wega, Antares, Pollux und Kassiopeia bilden. Ein paar Planeten – Jupiter, Mars, Venus – und ein ganzer Sternenschwarm, der Hunderttausende Lichtjahre entfernt durchs All schwirrte und den Urlauber nachts im warmen Sand liegend am Firmament betrachteten.
    Angelika fiel jäh aus ihren hochfliegenden Träumen. Ihr Verstand wurde abwechselnd von Sternschnuppen und Wahnsinn bestrahlt.
    ,,Wir könnten damit beginnen, Papa um eine Sukkulente zu bitten.“
    Und am nächsten Tag sprach sie schon von Sträußen, Tulpen und Edelweiß, die in einer Wanne wuchsen, Rosensträuchern, die über die Wände rankten und aus der Decke bald eine Pergola machten.
    ,,Wenn ich die Erde sammle, anstatt sie wegzufegen, würden uns ein paar Samenkörner genügen.“
    Nach einer Woche hatte sie eine dünne Schicht braunen Staub in einer Schüssel.
    ,,Ich bitte euren Vater um einen Sack Humus.“
    Die Kinder begeisterten sich für diese ländlichen Projekte. Petra sah sich schon jeden Morgen eine Blume pflücken und sie in ihr schütteres Haar stecken, das sie zum Knoten gebunden hatte. Roman rannte im Geiste über Felder, am Himmel ein Schwarm Sperlinge, vertreten durch Tweety. Martin würde Kirschen, Äpfel, Marillen pflücken und aus seinem Vater einen Laufburschen machen, der das Obst oben gegen MP3-Player und Horrorfilme tauschen müsste.
    Er konnte sich sogar vorstellen, die Früchte seiner Arbeit zu verkaufen und das Geld in den Anbau von Marihuana, Mohn und Kokasträuchern zu investieren. Er würde einer dieser Drogenbosse werden, die ganze Jahrzehnte in einer Höhle versteckt lebten, ohne Computer und ohne Telefon über ihr Reich herrschten und ihre Befehle auf winzigen Zetteln überbrachten, die sich die Boten in den Anus schieben mussten.
    ,,Wann redest du mit Papa darüber?“
    ,,Nächstes Mal.“
    Genauer konnte sie es ihnen nicht sagen. Fritzl nannte ihnen nie ein Datum für seinen nächsten Besuch. Ein unwägbares Ereignis – es war wahrscheinlich, man könnte aber genauso gut ein halbes Jahrhundert auf ihn warten müssen.

,,Warum hast du nicht mit ihm darüber gesprochen?“
    Diese Frage wurde oft gestellt, sobald die Luke sich wieder hinter Fritzl geschlossen hatte.
    ,,Es ist noch zu früh.“
    So ein Plan wollte reiflich überlegt, exakt ausgearbeitet sein. Ein wohldurchdachtes Traktat über die Notwendigkeit, sich um die Zukunft des Kellers zu kümmern, sein Ökosystem und
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