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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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der Decke eine Lampenfassung ohne Glühbirne. Die Wärter beschwerten sich über sein nächtliches Geschrei, das sie beim Kartenspiel störte.
    Nach drei Wochen Isolationshaft, die der Justizminister damals über alle Verurteilten verhängte, brachte man ihn in eine Zweierzelle, in der schon ein Pastor einsaß. Er war zur Todesstrafe verurteilt worden. Nur anderthalb Jahre später wurde er hingerichtet.
    Fritzl hatte einen betonierten Tisch, einen Holzschemel und einen Eisenspind ohne Schloss. Der Gefängnisdirektor hatte ihm das Recht zugestanden, Fernunterricht zu nehmen. Damit er die Bücher bezahlen konnte, schickte Anneliese ihm einen Teil des Geldes, das sie mühsam als Aufsicht in der städtischen Kinderkrippe verdiente.
    Drei Monate nach seiner Entlassung ging er zurück nach Linz und legte seine Abschlussprüfung ab. Spielend bekam er sein Diplom als Baustoffingenieur. Einer seiner Arbeitgeber gestand später ein, dass er diesen Mitarbeiter immer für ein Genie gehalten hatte. Technische Probleme löste Fritzl mit beeindruckender Meisterschaft, es ging sogar so weit, dass er ganz eigene Lösungen entwickelte, durch die das Unternehmen neue Märkte erschließen konnte.
    Doch trotz seiner Hartnäckigkeit war es ihm nie gelungen, den neuartigen Beton zu erfinden, von dem er träumte. Einen Beton, leicht und widerstandsfähig wie Titan. Da die Polizei nicht wusste, was sie damit anfangen sollte, vernichtete sie drei Kartons voll der verdorrten Früchte seines Schaffens.
    Der Pastor hatte es sehr mit der Theologie.
    „Wenn Gott ab und zu mal einen Fehler gemacht hat, ist das noch lange kein Grund, Ihn vollständig zu verdammen. Außerdem haben die Römer Ihm mit der Kreuzigung wieder Seinen Platz zukommen lassen. Seither lässt Er Gnade walten, und wir müssen Ihn verehren als das vollkommene Wesen, so wie es in der Bibel steht. Sollte es Ihn jedoch nicht geben, müssten wir Ihm ewige Verachtung entgegenbringen. All diese Milliarden Menschen, die sich vor Ihm verneigt haben, die haufenweise Bücher gefüllt haben, um Ihn zu preisen, Seine Existenz zu beweisen oder im Zweifelsfall daran zu glauben – und am Ende wäre alles nur eine Farce gewesen, und wir wären die Gelackmeierten? Wo sollen wir Ihn finden, um Ihm in den Hintern zu treten? Im Nichts? Es wäre sinnlos, wenn Seine geprellten Kunden bis in alle Ewigkeiten ins Nichts treten würden.“
    Er war genauso frauenfeindlich wie der Heilige Paulus.
    „Eine rechtschaffene Gattin wird immer vergewaltigt, es ist ihre Pflicht, sich immer zu beugen.“
    Diese guten Worte überzeugten Fritzl von Annelieses Redlichkeit.
    Als er sie aufs Bett geworfen hatte, hatte sie ein wenig gezittert, aber sie hatte sich nie getraut, sich zu wehren.
    Der Pastor verbrachte seine Zeit damit, Fritzl von der Arbeit abzuhalten und ihm die Liebe Gottes und eine reiche Kinderschar zu predigen.
    „Jedes Mal, wenn die Frau einen kleinen Lutheraner auf die Welt bringt, ist sie gesühnt und der Vater des Kindes gesegnet. Eine unfruchtbare Frau ist schmutziges Wasser, ein Zufluss der Styx; bei ihrem Tod lässt sie die Höllenseen anschwellen, in denen die Verdammten schmoren.“
    Der Gedanke, seine Nachkommenschaft zu vergrößern, gefiel Fritzl. Kurz nach seiner Verhaftung legte er bei einem Psychiater, der ihn nach seinem Hobby fragte, ein merkwürdiges Bekenntnis ab:
    „Ich glaube, ich sammle Kinder.“
    Das Kind des Pastors war an den Folgen einer Ohrfeige gestorben, die es im Treppenhaus bekommen hatte. Es war gestürzt und hatte sich das Genick an der Kante einer der Stufen aus Vulkangestein gebrochen, die man von der Kirche in die Behelfswohnung der Familie hinaufsteigen musste.
    „Ein Unfall.“
    Allerdings war sein ältester Sohn bereits einer Unterkühlung erlegen – nach einem unfreiwilligen Bad im Januar im eisigen Wasser des Teichs, aus dem seine Frau immer das Gießwasser für das Gemüse im Garten schöpfte.
    Bei jedem Todesfall war er auf die Knie gefallen und hatte mit Stentorstimme vom Herrn gefordert, das Kind wieder auferstehen zu lassen. Trotz seiner Schimpftiraden hatte sich das Wunder nicht eingestellt. In seiner Laufbahn hatte er die Gläubigen schon zu oft aufgefordert, andächtig zu beten, damit die Sonne schien, wenn sintflutartige Regenfälle die Ernte verdarben, damit sein Hund, der mit dem Tode rang, wieder genas, ja sogar damit der Heilige Geist, der weder Arbeitszeit noch Ersatzteile in Rechnung stellte, die Kupplung seines alten Autos reparierte.

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