Claustria (German Edition)
uns ältere Bilder gezeigt, aus der Zeit, als die Polizei den Keller noch nicht auseinandergenommen hatte.
„Das ist ja komisch, sie haben den Mixer mitgenommen.“
Nina nickte.
„Dieser Gauner.“
Sie wurde rot, so schockiert war sie, dass ich einen Mann von solchem Rang mitten ins Gesicht beleidigte.
„Seien Sie still.“
„Er versteht doch kein Wort Französisch.“
Sie fing an, sich mit ihm zu unterhalten, um meine Stimme zu übertönen. Ich ließ alle Fotos durchlaufen.
„Fragen Sie ihn trotzdem, warum man Annelieses Befragung nicht weiterverfolgt hat.“
Er antwortete überstürzt. Eine Kaskade aus Worten, die aneinanderklebten, als hätte man seine Sätze in Leim getaucht.
„Angelika hat von Anfang an eine Mittäterschaft geleugnet. Anneliese war erschüttert, als sie erfuhr, wie sehr ihre Tochter gelitten hat. Auch sie ist ein Opfer. Es wäre unmenschlich gewesen, wenn man sie noch mehr traumatisiert hätte.“
„Sie hat beim Prozess nicht ausgesagt.“
Das Telefon auf seinem Schreibtisch am anderen Ende des Raums läutete. Er stand auf, um abzuheben. Nachdem er wieder aufgelegt hatte, klopfte der junge Mann erneut an und trat ein. An seinem Tonfall meinte ich zu verstehen, dass er ihm eine Frage stellte. Der Polizeikommandant antwortete nicht. Der junge Mann verschwand.
„Voilà.“
Voilà auf Französisch. Er nieste.
„Und die Kinder? Hat man die Kinder befragt?“
Bevor Nina noch übersetzen konnte, verzog er den Mund, als hätte die Empörung ihn plötzlich mehrsprachig gemacht.
„Ich muss mich von Ihnen verabschieden, in einer Stunde geht mein Flug nach Salzburg.“
Er sah auf die Uhr.
„In fünfundvierzig Minuten. Ich bin spät dran!“
Nina stand auf. Höflichkeitsfloskeln, ein mehrfaches „Danke“, auf das er mit einem Wortschwall antwortete, der ein au revoir enthielt.
„Vierundzwanzig Jahre, das ist eine lange Zeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass keiner etwas davon mitbekommen hat, ist so gering, dass sie gleich null ist.“
Nina übersetzte nicht. Beide standen vor mir, während ich meiner Unzufriedenheit dadurch Ausdruck verlieh, dass ich sitzen blieb, einen Arm über die Rückenlehne des Sofas gelegt.
„Die Mieter? Die Nachbarn? Haben Sie niemanden vernommen?“
Zwei Statuen – ich bekam eine Vorstellung davon, wie die Bewohner des Wachsfigurenkabinetts Musée Grévin für einen wie mich aussehen mussten, der dort noch nie war. Ich wiederholte meine Fragen noch zwei-, dreimal. Nina wirkte so verzweifelt wegen meiner Sturheit, dass ich mich schließlich erhob.
„ Salutu .“
Nachdem ich es ausgesprochen hatte, fragte ich mich, wieso ich zu ihm das einzige korsische Wort gesagt hatte, von dem ich je Kenntnis erlangt hatte. Er schüttelte mir die Hand, dann machte er uns die Tür vor der Nase zu.
Ich konnte kaum Schritt halten mit Nina, die wütend die Treppe hinunterrannte. Ohne langsamer zu werden, drehte sie sich um und knallte mir mit gedämpfter Stimme diesen Satz vor den Latz, wie man einen Zigarettenstummel aus dem Autofenster wirft, damit man sich nicht die Mühe machen muss, ihn im Aschenbecher auszudrücken:
„Sie haben mir Schande gemacht.“
Sie weigerte sich, mit mir etwas trinken zu gehen. Wortlos fuhr sie mich zum Hotel zurück.
Ein Paar gut um die vierzig. Überlastete Akustikexperten, die nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht, so geräuschempfindlich sind die Österreicher. Alte Menschen beschweren sich, weil die Jungen im Stockwerk darunter nachts Nüsse knacken. Ein Junggeselle wirft einem Ehepaar vor, sonntags genau dann miteinander zu schlafen, wenn er seinen Mittagsschlaf hält. Ein Volk mit scharfen Ohren, das selbst das Geräusch der Gedanken der Nachbarn stört.
Strenge Gerichte, die das leiseste Rascheln ernst nehmen und die Akustiker in alle Teile des Landes schicken, damit sie Lärmbelästigungen aufspüren.
„Setzen wir uns nach draußen?“
Es war schönes Wetter an jenem Tag in Wien. Das Paar saß an einem verchromten Tisch, auf dem Nina bereits ihren Strohhut aus Italien abgelegt hatte.
„Haben Sie Hunger?“
„Ja, wir sind früh aufgestanden und außer einer Tasse Milchkaffee haben wir seit gestern Abend nichts mehr gehabt.“
Am Tag nach der Entdeckung des Kellers wurden sie in aller Eile angerufen. Drei Tage darauf kamen sie zum Einsatz, bis dahin hatte die Kriminaltechnik die Spuren gesichert und war zu dem Schluss gekommen, dass außer Josef Fritzl niemand weiter gekommen war als bis zum
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