Claustria (German Edition)
eine Magnumflasche Champagner malträtierte, als er versuchte, sie zu entkorken. Die etwa zwanzig Gäste sprachen laut durcheinander in einer Rauchwolke, die ein alter Pfeifenraucher produzierte, indem er gierig am Stiel zog, als hätte er Angst, in der verbleibenden Luft im Raum zu ersticken.
„Was?“
Die Verbindung war schlecht, Gretel ging auf den Gang hinaus.
„Meine Verteidigung.“
„Wer sind Sie?“
„Josef Fritzl.“
Tags zuvor war Fritzls Bild schon um die Welt gegangen. Der Anwalt war ein gescheiterter Schauspieler und ehemaliger Vertreter für Badewannen und Boiler. Nach einem späten Studium hatte er sich 1988 bei der Anwaltskammer Linz eingeschrieben. Vor einigen Jahren hatte er seine Stunde des Ruhmes gehabt, als er einen Freispruch für Neonazis erwirken konnte.
Er träumte von außergewöhnlichen Fällen, von abscheulichen Mandanten, die noch vom Blut ihrer Opfer troffen, von einem Prozess, der in die Geschichte eingehen und aus ihm einen Staranwalt machen würde. Fritzl war als Angeklagter so legendär, dass Gretel dachte, ein Kollege hätte sich einen Scherz mit ihm erlaubt. Er legte auf.
Er aß seinen Kuchen auf, sammelte die Krümel einzeln mit Daumen und Zeigefinger auf wie Flöhe und steckte sie sich in den Mund. Er wollte keinen Champagner, seine Frau fragte nach:
„Magst du keinen Champagner mehr?“
„Nicht den Champagner – den Rausch mag ich nicht mehr.“
„Meinst du nicht, dass du langsam ein wenig schrullig wirst?“
Man lachte, sogar sein Sohn hatte sich erlaubt, seinen Satz zu wiederholen und mit zugehaltener Nase seine nasale Stimme zu imitieren.
„Lasst mich in Frieden!“
Seit einiger Zeit berauschte Gretel sich lieber an seinen Gedanken, seinen Träumereien, seinen konfusen Plädoyers, seinen Worten, die er durch den Gerichtssaal schallen hörte, am Geräusch seines Atems in der Stille der schlaflosen Nacht, am Plätschern des Wassers, wenn er seine Finger in der Badewanne bewegte.
„Ich bin mein eigener Alkohol.“
Alle tranken, keiner hörte ihn diesen Leitsatz murmeln, auf den er so stolz war, dass er einen Stift aus der Tasche zog und ihn auf einer Serviette notierte.
Wieder vibrierte das Telefon. Er sah dieselbe Nummer auf dem Display. Arrogant antwortete er:
„Lecken Sie mich!“
„Aber, aber, Herr Magister, nicht in diesem Ton. Sie sprechen mit dem Landespolizeikommandanten von Niederösterreich.“
Anfang Juli 2009 empfing der Polizeikommandant Nina und mich in seinem großen Büro im Zentrum von Wien. Nina, eine Österreicherin der gehobenen Gesellschaft, begleitete mich in diesem argwöhnischen Land, dessen Sprache ich nicht sprach und dessen Sitten und Gebräuche ich nicht kannte.
Er bot uns Platz an einem Couchtisch an, auf dem ein zugeklappter Laptop stand. Er ließ Kaffee und einen Teller Gebäck bringen.
Ein Mann kurz vor dem Pensionsalter, verärgert über die Märchen, die seit der Entdeckung des Kellers über Österreich in Umlauf waren.
„Damit muss Schluss sein.“
Er wollte sich mit uns treffen, um uns die ganze Wahrheit zu sagen.
„Das ist eine Sensationsmeldung, die mitnichten das Bild widerspiegelt, das wir von unserem Land haben.“
Es klopfte an die Tür. Ein junger Mann in Uniform trat ein. Sie wechselten ein paar Worte. Dann komplimentierte der Polizeikommandant ihn mit einem Handzeichen richtiggehend wieder hinaus. Der Mann zog sich rückwärts zurück und schloss leise die Tür.
„Vorsicht!“
Trotz Ninas Hinweis warf ich meine Kaffeetasse um.
„Tut mir schrecklich leid.“
Auf Deutsch sagte der Kommandant wohl, dass das kein Problem sei. Nina war so beschäftigt damit, in ihrer Tasche nach Papiertüchern zu suchen, dass sie seinen Satz nicht übersetzte. Wir wischten den Tisch ab, er holte einen Papierkorb, damit wir die nassen Taschentücher wegwerfen konnten.
„Was wollen Sie ihn fragen?“
Ich war zu sehr darauf konzentriert, den Kaffeefleck von meinem weißen Hemd zu wischen, um Nina zu antworten.
Der Polizeikommandant stellte den Papierkorb an seinen Platz zurück und setzte sich uns wieder gegenüber. Er klappte den Laptop auf. Auf dem Bildschirm erschienen Fotos des Kellers, der noch teilweise möbliert war.
„Sie sind die Ersten, die das sehen.“
Er reichte mir den Laptop. Mit einem Zeichen gab er mir zu verstehen, wie ich die Bilder durchlaufen lassen musste. Drei Tage zuvor hatten wir uns mit den Akustiksachverständigen getroffen, einem Paar, das den Keller abgehorcht hatte. Sie hatten
Weitere Kostenlose Bücher