Claustria (German Edition)
die Streifen auf dem Bezug nicht mehr erkennen konnte. Daneben stand so etwas wie ein Nachtkästchen voller Brandflecken von Zigaretten, das zusammen mit der Matratze in diesem Pfuhl aus Dreck zu schwimmen schien.
„Das war das Zimmer von Fritzls Sohn Christof. Ein Kretin, der drei Tage nach Aufnahme der Ermittlungen vom Erdboden verschwunden ist. Er war Fritzls Butler, sein Laufbursche, ihn hat er als Einzigen manchmal mit in den Keller genommen. Er hat behauptet, er sei nie weiter gekommen als bis zum Heizungskeller und habe nie irgendetwas gehört. Die Polizei hat sich nicht mal die Mühe gemacht, diesen Trottel zu vernehmen, er hat nur die Frage eines Journalisten beantwortet, dann hat er sich in Luft aufgelöst.“
Er holte Atem, biss auf seine Zigarre, die gerade ausgegangen war.
„Aber vielleicht hat ihn die Polizei auch weggebracht wie die Mutter. Aus Angst, er könne plaudern. Wissen Sie, so ein Schwachkopf ist bequem, er ist zu blöd, um sich Fragen zu stellen, und wenn er etwas sieht, begreift er es nicht und hat nicht genügend Gehirnzellen, um sich daran zu erinnern. Genau so einen haben wir gebraucht. Ich bin sicher, die Polizei hätte an seiner Stelle einen anderen Blödmann aus dem Hut gezogen, wenn Christof auch nur annähernd normal gewesen wäre. Ein Ungeheuer hat uns gereicht, ein zweites haben wir beileibe nicht gebraucht. Ansonsten hätte man Österreich noch bezichtigt, Monster zu züchten. Außerdem haben die Kriminaltechniker gesagt, Fritzl sei der einzige Besucher der Wohnung gewesen. Forensiker sind seriös, sie pflegen nicht zu lügen und zu behaupten, der Tatort sei nach ihrer Durchsuchung unbemerkt verändert worden. Wer nicht an die Kriminaltechnik glaubt, glaubt wirklich an gar nichts. Dann kann man gleich aus dem Fenster springen, bevor man verrückt wird.“
„Welche Wohnung?“
„Die Kellerwohnung. Ein Quartier ohne Terrasse, aber fesch wie ein Zigeunerwohnwagen. Zumindest heißt es, sie sei einigermaßen komfortabel gewesen. Aber vierundzwanzig Jahre in einem Wohnwagen begraben zu sein wie in einem Sarg – da ist der Sarg noch besser.“
Er hielt kurz inne, steckte die Hände in die Taschen, das Handy leuchtete durch den Tweed trüb in den Raum, der in Dunkelheit getaucht war. Die Worte des Anwalts waren nur mehr kaum hörbar, als würde das Dunkel sie verschlucken.
„Noch ein Inzestfall, das wäre zu viel gewesen.“
Er zog die Hand wieder aus der Tasche, lachte im matten Schein des zurückgekommenen Lichts.
„Sogar für Österreich.“
Auf einmal wurde er wieder nervös. Das Licht des Displays zitterte in seiner unruhigen Hand. Er rannte fast auf die Straße, sperrte das Haus wieder mit dem Schlüssel ab.
„Ich habe um achtzehn Uhr den nächsten Besichtigungstermin.“
„Gehen wir zusammen etwas trinken?“
„Aber sicher!“
Wir gingen zum Hauptplatz. Das Gewitter hatte nach ein paar Tropfen abgedreht. Das Wetter war grau und unentschlossen, kein Regen, kein Schnee, nicht kalt, nicht warm. Wir setzten uns an einen hellen Kiefernholztisch vor einen Kamin, in dem hinten auf einem installierten Bildschirm ein Feuer loderte.
„Das Haus steht seit drei Monaten zum Verkauf, Sie sind bereits der neununddreißigste Besucher. Ich versuche, Journalisten abzuwimmeln, die mir nur die Zeit stehlen. Aber sie halten mir das Handelsgesetzbuch vor, und ich muss mich beugen. Ich durchsuche diese Leute vor dem Haus, aber wahrscheinlich verstecken sie Material in ihren Mänteln.“
Sein dickes Gesicht wurde vor dem imaginären Feuer rot, das Bild der Flammen brachte ihn ins Schwitzen wie richtige Flammen.
„Eine Hollywood-Firma wollte es für ein Heidengeld kaufen, ohne überhaupt jemanden zu schicken, der es sich angesehen hätte. Ich hätte meine Provision bekommen, die Sache wäre unter Dach und Fach gewesen. Aber das Justizministerium hat sich eingeschaltet. Angeblich ist es geschmacklos, in diesem Haus einen Film zu drehen. Ich soll an eine Privatperson verkaufen. Kennen Sie jemanden, der dort wohnen will?“
Ein leises Lachen, das in seinem Glas Glühwein erstarb.
„Ich weiß, wer Sie sind. Auf dem Weg hierher habe ich im Internet nach Ihnen recherchiert. Sie würden dort niemals einziehen. In Amstetten hat es noch nie einen französischen Schriftsteller gegeben, es hat dort überhaupt noch keinen Schriftsteller gegeben.“
Vier Jahre später unterzeichnete ein junger Deutscher aus München einen Kaufvertrag über knapp sechzigtausend Euro. Er baute das
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