Claustria (German Edition)
Gebäude zu einer Pension um, eine Absteige ohne jeden Komfort, wo kein Mensch übernachten wollte. Bis zu seiner Sprengung blieb das Haus ein halbes Jahrhundert unbewohnt. Nur der Keller brachte den wechselnden Eigentümern, die sich die Klinke in die Hand gaben, ein bisschen Geld ein. Die Räumlichkeiten waren beengt, alle Anträge zum Ausbau des Kellergeschosses waren von der Stadtverwaltung abgelehnt worden. Der Gewinn war bescheiden, und jeder hatte genug, wenn es ihm mit der Zeit keinen Schauder mehr bescherte, eine Immobilie zu besitzen, in der ein Verbrechen verübt wurde.
„Komisch, Sie wollten den Keller gar nicht unbedingt sehen.“
„Ich habe ihn schon gesehen.“
April 2009. Rückfahrt nach Wien vierzig Tage nach der Urteilsverkündung. Das Hotel, wo ich auch während meiner früheren Reisen abgestiegen war, ist fünf Gehminuten von der Straße entfernt, wo Nina wohnt, wenn sie in Österreich ist.
Eine riesige Wohnung, die so aussieht, als hätte man sie wie einen alten Zahn aus einem Gebäude gerissen, das in den Sechzigerjahren stehen geblieben war, einer Zeit, als man das Haus auch schon alt fand, nachdem es Ende des vorletzten Jahrhunderts errichtet worden war.
Ein Gitter auf der Etage, das man aufsperren muss, bevor man die Tür öffnet.
„Ihr steht hier wohl auf viele Türen.“
Innen ein Meer aus Möbeln.
„Das ist die Wohnung meiner Schwiegermutter.“
Sie war 1982 verstorben und hatte eine beeindruckende Anzahl Kommoden und Schränke hinterlassen, die sich im Halbdunkel der Eingangsdiele zu vermehren schienen wie die Kaninchen.
Ein imposantes Wohnzimmer. Die Ebenholzstühle mit Polstern aus rissiger, gelber Seide waren auf die Tische geklettert. Ein antiquierter Videorekorder. In einem Intarsienschränkchen eine Stereoanlage, die aus einer Zeit zu stammen schien, in der es noch gar keine Stereoanlagen gab. Hier und da standen hohe Lautsprecher mit einem aufgemalten Violinschlüssel an den Seiten. Ein großer Fernseher mit konvexem Bildschirm, auf der Armlehne eines Sofas mit Schutzbezug eine Fernbedienung aus Bakelit, dick wie eine Bibel und mit vorstehenden roten Knöpfen, die mit der Zeit verblasst waren.
„Es gibt Torte.“
Nina bringt eine Platte mit Gebäck. Wiener Spezialitäten, auf die die Stadt so stolz ist.
„Ich habe sie Ihnen neulich in einem Schaufenster gezeigt.“
Sie waren gut, ich erinnere mich jedoch weder an ihren Geschmack noch an ihren Namen.
„Ist der Polizist nach wie vor einverstanden, dass wir am Freitag den Keller mit ihm besichtigen?“
„Er hat mich gerade angerufen. Er will persönlich mit Ihnen reden.“
„Er spricht nur Deutsch.“
„Er hat gesagt, dass er auch ein paar Worte Spanisch kann.“
„In Spanisch hatte ich so etwas wie einen Fünfer in der Matura.“
„Dann seid ihr ja annähernd auf demselben Niveau.“
Von den Handlangern, die den Keller durchsucht hatten, war dieser einundzwanzigjährige Polizist der Einzige gewesen, der ein Interview gegeben hatte. Ein flüchtiger Auftritt auf YouTube , binnen achtundvierzig Stunden war er wieder vom Netz genommen und der Mann umgehend entlassen worden.
Nina hatte das Video gesehen und sich seinen Namen gemerkt. Er wohnte in Melk, einer Kleinstadt an der Donau unweit von Amstetten. Nina telefonierte mehrmals mit ihm.
„Ein Traumtänzer. Ich glaube nicht, dass er viel zu erzählen hat. Für eine Stunde Gespräch will er zehntausend Euro haben.“
„Bleiben Sie trotzdem dran.“
Sie rief ihn wieder an.
„Er hat einen Abdruck genommen und die Kellerschlüssel nachmachen lassen.“
„Und ist er bereit, dorthin zurückzukehren?“
„Er sagt, dass er schon mehrmals dort war.“
Er verlangte fünfzigtausend Euro für die Ehre, ihn begleiten zu dürfen.
„Sagen Sie ihm, dass er von uns gar nichts bekommt.“
Später erfuhr ich, dass er versucht hatte, mit allen nur erdenklichen Medien zu verhandeln. Sein Angebot klang nach Schwindel. Es ging das Gerücht, der Keller sei von der Polizei präpariert und zwei Türen unter Strom gesetzt worden. Der Stromschlag bringe den Eindringling zwar nicht um, setze ihn aber auf unangenehme Weise außer Gefecht wie eine Elektroschockpistole.
Die Medien waren abgezogen, der Mann musste alle Hoffnung aufgeben, seine Dienste eines Tages zu Geld zu machen. Am Ende schlossen wir einen Vergleich – er erklärte sich mit tausend Euro einverstanden.
Nachdem ich das letzte Tortenstück vertilgt hatte, rief ich ihn an. Nina hat ein Haus auf den
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