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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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fünfhundert Kilo. Man hätte sie aushängen müssen, um sie zu wiegen, aber die Polizei hatte darauf verzichtet.
    Der Mann klatschte lautlos in die Hände, um meiner Vorstellung zu applaudieren, als sich die Schleuse vor einem schwarzen Loch öffnete. Aus der Öffnung schlug mir ein Gestank entgegen, heftig wie Gas. Ich übergab mich. Der Ex-Bulle schnauzte mich auf Deutsch an und beleuchtete mit der Taschenlampe die Spuren.
    Er stieg darüber hinweg nach innen, ich folgte ihm. Ich atmete durch den Mund, aber die Luft schien so dick zu sein wie Creme. Ich hatte das Gefühl, sie hinunterzuschlucken und meinen Magen damit zu füllen, und der versuchte, sie wieder von sich zu geben. Ich ließ mich auf den Boden fallen. Dort hockte ich, bekam keine Luft, mir drehte sich der Kopf, mir war übel, als sei die Dunkelheit ein Abgrund.
    „ Respirar. “
    Er richtete die Taschenlampe auf mich. Er packte mich an den Haaren und zog mich hoch.
    „ Respirar, respirar! “
    Er atmete tief ein und ließ die Nasenflügel beben, damit ich mir ein Beispiel nahm. Es gab nur wenig Sauerstoff, er hatte Angst, er müsste meinen ohnmächtigen Körper bis an die frische Luft schleppen.
    „ Respirar! “
    Ich atmete tief durch. Ein Überlebensreflex.
    Er klemmte sich die Taschenlampe unter den Arm. Sie beschien einen Schalter rechts vom Eingang. Erfolglos drückte er ein paar Mal. Mit dem Daumennagel schraubte er das Gehäuse ab, zog die Kabel heraus und rieb sie aneinander, ohne dass es auch nur einen einzigen Funken gab und Licht schon gar nicht. Er stampfte mit dem Fuß auf. Es klang dumpf, als hingen die Räume über einem Hohlraum. Dort verliefen wohl die Abflussrohre.
    „ No foncionar. “
    Er trippelte, er fluchte auf Deutsch. Sein Verhalten hatte wohl zu bedeuten, dass es bei seinem letzten Besuch noch Strom gegeben hatte. Schließlich gab er auf. Er leuchtete mit der Taschenlampe in den Raum. Die Regale waren abgebaut, sie standen übereinander an der Wand. An mehreren Stellen hatte man die Deckenbretter abgeschraubt. Darunter feuchte, gesprungene Terrakottafliesen, stellenweise hatte sich das Fugenmaterial aufgelöst. Der Bodenbelag versank im Schlamm, der wohl bei den letzten Regenfällen heruntergeflossen war.
    „ Vamos. “
    Die Sache mit dem Lichtschalter hatte ihn unruhig gemacht. Mit abgehackten Bewegungen leuchtete er um sich. Ich sah kurz die Badewannenfliesen voller Abziehbildchen. Ein lächelnder Krake, Blumen, Micky Maus, ein blaues Wölfchen mit abgekratzter Schnauze. Das Waschbecken lag zerbrochen auf dem Boden. Auf dem Metalltisch in der Küchenecke, dessen Beine in den Boden eingelassen waren, stand ein Gerät mit einer Skala. Die Akustikexperten hatten mir gesagt, dass sie dort ihr Akustimeter vergessen hatten.
    „Wir wurden aufgefordert, den Raum sofort zu verlassen. Sie haben uns fast rausgeschmissen. Am nächsten Tag haben wir angerufen und gefragt, wie wir wieder an unser Gerät kommen könnten. Sie haben gesagt, sie würden es uns mit der Post schicken. Es ist nie etwas angekommen.“
    Ein gemauerter Gang, der zu eng war, um ihn frontal zu durchqueren. Selbst wenn man sich seitlich durchschob, rieben die Schultern an der Wand. Ich fing an zu schreien, schlug um mich. Ich hatte das Gefühl, lebendig begraben zu sein. Der Mann zog mich grob am Arm. Ich entschuldigte mich auf Französisch, als ich wieder bei Sinnen war. Er maulte auf Deutsch. Ich wiederholte auf Spanisch: „Scusa me.“
    Die Taschenlampe beleuchtete Angelikas Schlafzimmer. Das große Bett mit der Matratze voller ineinanderlaufender Flecken, Spuren Tausender inzestuöser Koitusse. An mehreren Stellen runde Löcher, Schaumgummiflocken auf dem Bezug. Ein Schemel in einer Ecke, wo früher die Anrichte mit dem kleinen Fernseher gestanden hatte. Ich erkannte ihn wieder, er war auf einem der Fotos zu sehen, die mir die Akustikexperten gezeigt hatten. Da sie sich nicht über dessen Verlust beklagt hatten, gehörte er wohl der Polizei.
    Ich erbrach mich wieder. Schimpfend schlug der Mann mir kräftig auf den Rücken.
    „ Vamos, vamos! “
    Er schob mich aus dem Raum. Das Kinderzimmer lag direkt nebenan, man erreichte es durch eine kurze, betonierte Röhre. Keine Betten, überhaupt keine Möbel, die Deckenlatten waren teilweise abgefallen, Erde auf dem Boden, ein kleiner grüner Plastiksoldat in Habachtstellung lag auf dem Rücken.
    „ Vamos! “
    Er stieß mich vorwärts. Ich deutete auf die Tür von Angelikas Schlafzimmer.
    „ No, no, vamos.

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