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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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Musik, die der Barkeeper lauter gestellt hatte.
    Der Anwalt schob sein Glas zurück. Er wollte mir in die Augen sehen, aber mein Schielen machte es ihm unmöglich.
    ,,Ich hatte einen Termin mit Angelika. Ich habe sie schon sechsmal ins Haus gelassen. Sie geht in das Zimmer, in dem sie vor dem Keller gewohnt hat. Sie öffnet das Fenster, atmet die Luft von draußen ein, als würde sie Klebstoff schnüffeln. Sie bittet mich, sie allein zu lassen, dann gehe ich im Gang auf und ab, bis sie wieder herauskommt. Ich frage mich, was sie sucht. Man könnte meinen, sie hat Sehnsucht nach dieser Bude. Dabei hat sie immer wieder gesagt, dass Fritzl sie während ihrer ganzen Kindheit verprügelt und sie sowohl oben im Haus wie auch unten missbraucht hat. Aber es ist wohl so, dass man doch mitunter glücklich ist, andernfalls würde man diese Tortur ja nicht aushalten. Oben muss es trotz allem nicht so schlimm gewesen sein. Also sagt sie sich wahrscheinlich, dass ihr Zimmer damals das Paradies war.“
    Er verstummte, zog eine Zigarre aus einem Aluminiumetui in der Sakkotasche und steckte sie sich in den Mund, ohne sie anzuzünden. Dann nahm er seinen Vortrag wieder auf.
    ,,Anschließend gehen wir fast untergehakt die Treppe hinunter. Sie trägt Stiefel mit Absätzen, ich habe immer Angst, sie könnte fallen. Dann würde ich Scherereien kriegen – alle würden sagen, dass es sich ja nicht gelohnt hätte, aus dem Keller geholt zu werden, um sich auf der Treppe das Genick zu brechen. Österreich ist auch so schon ausreichend geschlagen. Würde das Opfer auch noch auf so lächerliche Weise ums Leben kommen, wären wir das Gespött der zivilisierten Welt. Die Wilden haben ja kein Fernsehen, sie vergewaltigen ihre Töchter weiterhin wie Steinzeitmenschen. Meiner Ansicht nach dürften Höhlen tolle Bordelle gewesen sein.“
    Ein helles Lachen, im Sopran – bisher hatte er immer im Bass gelacht.
    ,,Danach muss ich Angelika stets zum Bahnhof fahren. Ich setze sie in der Menschenmenge ab. Mit ihren neuen Zähnen und ihren adretten Kleidern sieht sie aus wie alle anderen auch. Niemand starrt sie an. Ich bin ihr nie gefolgt, ich weiß nicht, welchen Zug sie nimmt. Und es ist mir auch egal.“
    ,,Sind Sie hungrig?“
    ,,Ja.“
    ,,Ich kriege bei jedem Besuch im Haus Hunger und Durst.“
    Es war noch zu früh, die Küche war noch geschlossen. Wir bekamen einen Wurstteller und zwei Scheiben geröstetes Brot.
    ,,Sie sagt nie etwas. Nur einmal im Auto vor dem Bahnhof, da hat sie gemeint, trotz allem froh zu sein, dass sie aus dem Keller raus ist.“
    ,,Trotz allem?“
    ,,Sie hat sich nicht weiter dazu geäußert. Sie ist schnell in den Wartesaal gegangen.“
    Er schlemmte und trank sein Bier in großen Schlucken. Als sein Bauch voll war, stieß er auf. Er schloss die Augen, beide Hände auf dem Wanst. Mit geschlossenen Lidern schnappte er sein Handy. Schließlich kamen seine Augen wieder zum Vorschein.
    ,,Nach dem Prozess konnte Österreich die Akte für immer schließen. Das ganze Beweismaterial war bereits vernichtet. Die Nazis haben auch keine Archive zurückgelassen, diese geniale Angewohnheit haben wir übernommen.“
    Er drückte auf seinem Handy herum.
    ,, Look at that. “
    Geflüsterter Satz, als fürchtete er, die Toilettentür hätte plötzlich Englisch gelernt.
    ,,Bevor ich den Schnellhefter verbrannt habe, habe ich ein paar Fotos gemacht. Zur Erinnerung.“
    Er drehte das Handydisplay zu mir. Das ovale Bild eines jungen Mädchens.
    ,,Ein Bericht im Kurier vom 7. August 1986. Das Mädchen auf dem Bild ist Lou Blort, sie wurde am Morgen zuvor am Ufer des Mondsees aufgefunden – vergewaltigt, erwürgt und ins Wasser geworfen. Damals hat Anneliese Fritzl ganz in der Nähe einen kleinen Gasthof betrieben. Eine weitere Meldung über das Verschwinden des Mädchens zehn Tage zuvor. Und hier, zwei Seiten aus der Zeitschrift profil mit einer Reportage über den Fundort.“
    Er vergrößerte das Bild.
    ,,Sehen Sie dieses Bauernhaus? Das ist der Gasthof, den Anneliese in jenem Sommer bewirtschaftet hat. Wenn die Auflösung besser wäre, könnte man auf einer Vergrößerung vielleicht Fritzl mit einem Glas Bier in der Hand auf der kleinen Holzveranda sitzen sehen. Nach Fritzls Festnahme haben die Kieberer die beiden Fälle verglichen. Sie waren verblüfft, wie ähnlich sich Lou und Angelika in diesem Alter gesehen haben. Aber das Justizministerium hat die Exhumierung von Lous Gebeinen ebenso untersagt wie ein eingehendes Verhör Fritzls zu

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