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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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Papiere.“
    ,,Sie hat keine.“
    ,,Familienname?“
    ,,Ich weiß nicht, wer ihr Vater ist.“
    Er lächelt.
    ,,Ich kenne nur den Großvater.“
    ,,Wer ist ihr behandelnder Arzt?“
    ,,Ihre Mutter hat sie heute früh vor meine Tür gelegt. Ich habe sie noch nie gesehen, ich wusste bisher nichts von ihr. An ihren Kleidern war ein Brief befestigt.“
    Er zieht ein kariertes Blatt aus der Tasche und liest mit dem Stolz alter Leute vor, die mit zusammengekniffenen Augen noch immer ohne Brille lesen können:
    „,Seit drei Monaten gebe ich ihr Aspirin und Hustensaft. Seit einer Woche sieht es so aus, als würde sie sterben. Bitte, helfen Sie ihr. Petra hat Angst vor Menschen. Sie war noch nie im Spital. Bei Problemen wenden Sie sich bitte an meinen Vater, er ist der einzige Mensch, den sie kennt.‘“
    ,,Kann ich Ihren Ausweis sehen?“
    Widerwillig legt Fritzl seinen Pass auf den Tresen.
    ,,Ich komme heute Abend wieder und sehe nach ihr.“
    Sie schlägt den Pass auf, er reißt ihn ihr aus der Hand.
    ,,Bis heute Abend, Fräulein.“
    Er geht, rennt weg. Ein Mann im weißen Kittel läuft auf den Parkplatz hinaus, er gestikuliert, seine langen Arme rudern durch die graue Luft des Nieselwetters. Fritzl flitzt davon, ohne sich umzudrehen.
    Als die Patientin ausgekleidet wird, entdeckt man zwischen Haut und T-Shirt ein Briefchen, das auf den Rand eines People-Magazins gekritzelt wurde.
    Bleib stark, Petra. Wir sehen uns bald wieder.
    Eine warme, feuchte Nachricht, verwischt vom Schweiß, der auf Petras weißer Haut wie ein Abziehbild ein Stück der Brust eines Stars abgedrückt hat, der oben ohne auf einem Boot überrascht wurde, dahinter der Liebhaber.
    Eine Pflegerin legt Petra die Hand auf.
    ,,Sieht so aus, als liege sie im Sterben.“
    Trotz der Dopamin-Spritze schlägt Petras Herz kaum noch, trotz Sauerstoffmaske ist die Atmung kaum wahrnehmbar. Ein älterer Krankenpfleger mit langer, dünner Nase wie eine Sonde spricht schniefend sein Urteil:
    ,,Sie wird es nicht schaffen.“
    Man bringt Petra in den Reanimationssaal. Luftröhrenschnitt, künstliche Beatmung. Der Stationsarzt, der von einem Assistenzarzt gerufen wurde, weicht bei Petras Anblick kurz zurück.
    ,,Woher kommt sie?“
    ,,Ihr Großvater hat sie gebracht.“
    ,,Wo ist er?“
    ,,Wieder gegangen.“
    Der Arzt fühlt automatisch den Puls. Der Assistenzarzt deutet auf den Kontrollmonitor.
    ,,Puls fünfunddreißig, Herr Primar.“
    ,,Ich habe noch nie eine Patientin mit so einer Gesichtsfarbe gesehen.“
    Ein eigenartiges, schmutziges Weiß, als stecke ein Körper aus Asche darin.
    ,,Herr Primar, der Großvater hat keine Papiere von ihr vorgelegt. Sollen wir die Polizei verständigen?“
    ,,Es gibt keine Spuren von Gewaltanwendung. Was sagen die Bluttests?“
    ,,Die Ergebnisse sind noch nicht aus dem Labor gekommen.“
    Um achtzehn Uhr kam Fritzl mit einem Stück obersgefülltem Gebäck zurück, das Anneliese in Alufolie eingepackt hatte.
    ,,Sie wird hungrig sein, wenn sie aus dem Koma erwacht.“
    ,,Aus dem Koma? Welches Koma? Sie hat eine schwere Bronchitis.“
    Anneliese wusste nicht, dass Petra um halb drei Uhr von heftigen Krämpfen geschüttelt und ins künstliche Koma versetzt worden war, damit ihr entkräfteter Organismus sich erholen konnte. Als Anneliese am Morgen in die Garage gegangen war und eine Flasche Benzin gesucht hatte, um einen Fleck an ihrem alten Mantel zu entfernen, hatte sie das Gespenst der blutenden Petra vorne im Auto gesehen. Fritzl war mit großen Schritten durch den Garten gekommen.
    Sie hatte ihn gefragt, wo das Benzin sei, und so getan, als hätte sie nichts gesehen. Er hatte die Autotür geöffnet.
    ,,Ich habe sie gerade vor der Tür gefunden. Wieder ein Sprössling von dieser Schlampe! Und dann hat sie ihn uns auch noch in diesem miesen Zustand gebracht!“
    Anneliese hatte das Mädchen von Weitem mit verkniffenen Lippen angesehen.
    ,,Die Polizei sollte sie endlich mal schnappen!“
    ,,In der Zwischenzeit muss ich das Mädchen ins Spital bringen.“
    Fritzl hatte den Schrank geöffnet und seiner Frau das Benzin gegeben.
    Anneliese hatte eine halb Tote gesehen. Aus Petras Mund war das Blut geronnen wie ein letztes Lebenszeichen. Und sie dachte, zwischen Leben und Tod liege das Koma.
    Die Krankenschwester an der Pforte war von einem Kahlkopf abgelöst worden.
    Fritzl legte das Gebäck auf den Tresen.
    ,,Können Sie ihr das geben, wenn sie aufwacht?“
    ,,Der Herr Primar möchte Sie sprechen.“
    ,,Ich bin nur kurz

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