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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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    Ich machte einen Schritt hinein. Ich fühlte mich wie auf einem Sprungturm, die Angst, aufs Wasser zu schlagen, und die Angst, einen Rückzieher zu machen wie ein Hasenfuß. Und noch immer dieser Brechreiz, der Drang, abzuhauen und an der frischen Luft zu kotzen.
    Ich warf mich auf Angelikas Bett, es wurde nur vom Widerschein der Taschenlampe erhellt, die der Mann auf den Boden richtete. Ich legte mich auf den Rücken wie der Soldat im Kinderzimmer. Schimpfend kam der Mann auf mich zu. Ich brüllte.
    „ Silencio! “
    Bei meinem Schrei blieb er wie angewurzelt stehen, wich sogar einen Schritt zurück und ließ die Taschenlampe fallen, sie rollte über den Boden. Dann zeterte er weiter und bückte sich, um die Lampe aufzuheben.
    „Kaputt, kaputt, kaputt!“, sagte er auf Deutsch.
    Er schwenkte die Lampe vor sich wie einen Weihwasserwedel, um mir zu zeigen, dass das Glas bei dem Aufprall gesplittert war. Erneut bat ich um Ruhe, er schimpfte auf Deutsch, sicherlich drohte er, mich hier allein zurückzulassen. Ich gab keinen Mucks von mir, ich hörte, wie er an die Wand im Gang stieß und dann dem Tisch in der Küche Tritte versetzte. Schließlich verstummte er. Weitere Schritte hörte ich nicht, vielleicht hatte er sich auf den Tisch gesetzt und wartete auf mich.
    Den Gestank nahm ich nicht mehr wahr. Auch keine Geräusche. Mein leiser Atem. In derselben Stellung wie vor dreißig Jahren, als ein verrückter Laster mich gerammt hatte. Die feste Überzeugung, schon tot zu sein. Ich stieg als Seele über dem Globus auf. Unten mein unbedeutendes Leben inmitten einer unendlichen Zeitlandschaft. Eine Existenz, Jahrtausende zuvor begonnen, schwebte nun ewig weiter. Mein Erdenleben, eine vorübergehende Inkarnation, eine Erscheinung, ein Wimpernschlag. Dann kam ich im Auto auf einmal wieder zu mir, die Feuerwehr schnitt die Tür auf. Das kleine, beruhigende Leben war wieder zurückgekehrt, der Augenblick innerer Levitation vergessen.
    Nun komme ich auf dem Bett wieder zu mir. Ein fernes Motorengeräusch. Klagelaute am Boden, eine Art Scharren. Wieder Gestank, Luftmangel, Übelkeit. Die Sicherheit, etwas ist hier, etwas Lebendiges – Erinnerungen, die in den Mauern eingeschlossen sind und durch mein Eindringen geweckt wurden, sind kurz davor, aus ihrer Lethargie zu erwachen, hervorzukommen, vierundzwanzig Jahre Grauen passieren zu lassen. Die Angst vor Geistern, die bis in die Tiefen der Kindheit zurückreicht und plötzlich die drei Funken gesunden Menschenverstands unterdrückt, die es durch die Erziehung in unser Gehirn geschafft haben.
    Eine Erinnerung, gerannt zu sein, mir mehrfach den Kopf angeschlagen zu haben.
    Ohnmacht. In der Küche kam ich unter den Klapsen des Ex-Bullen wieder zu mir. Kribbeln unbekannten Ursprungs in Waden und Schenkeln. Ich stand auf. Der Polizist schüttelte mich weiter, während ich schon stand.
    Klagelaute am Boden, ein Quieken.
    „ Ratones, ratones. “
    Wir waren umgeben von Ratten.
    Der Lichtkegel der Taschenlampe schwenkte in alle Richtungen. Ein Teppich aus Ratten, einige zeigten uns mit der Schnauze in der Luft ihre gelben Zähne. Sie kamen in einer Reihe aus einem Loch unter der Badewanne. Seit Angelika nicht mehr da war und sie erschlug, konnten sie sich in aller Ruhe vermehren. Sie hausten wohl geschützt in einem Nest, das sie je nach Nachkommenschaft vergrößerten. Sie fraßen Kabel und die Inzestmatratze.
    Die Zähne des Mannes klapperten.
    „Weg hier!“, sagte er auf Deutsch.
    Die Worte höre ich heute noch. Nina sagte, es bedeute das Gleiche wie vamos , mit dem er mich ständig bombardiert hatte.
    „Schnell, schnell!“
    Wie versteinert wiederholte ich das Wort, als wäre es ein Mantra. Er hatte die Hände gehoben – Berufskrankheit oder aus Angst, in die Finger gebissen zu werden. Die Taschenlampe strahlte an die Decke, der übrige Raum lag in grauer Dunkelheit. Wenn der Herdentrieb der Ratten die Oberhand gewann, würde man nicht mal mehr unsere Knochen auffinden.
    Ich ergriff als Erster die Flucht, suchte in der Dunkelheit die Luke. Ich zog die schwere Tür hinter mir zu. Ein paar Ratten waren mir quiekend gefolgt, einige starben, zerquetscht zwischen dem Stahlbeton und dem Türrahmen. Die anderen hörte ich durchs Labyrinth huschen.
    Der Ex-Bulle schrie. Ich merkte, dass ich sogar die Stange vorgeschoben hatte. Ich öffnete ihm. Er stieß mich weg, schluchzte wie ein Kind. Er lief davon, die Taschenlampe wackelte in seiner panischen Hand. Auch ich rannte.
    Ein

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