Claustria (German Edition)
Freundin Barbara lacht. Es kommt zum Streit. Ein paar Tage lang gehen sich die beiden Mädchen aus dem Weg.
Mit Hans lernt Angelika die ersten Gefühle kennen. Ein Flirt, fast keusche Liebkosungen. Wenn er sich vorwagt, stößt sie errötend seine Hand weg. Alles geht langsam, eine zarte Liebe, die Zeit braucht. Das junge schüchterne Mädchen verlässt hitzig das Zimmer des Geliebten, ohne sich hingegeben zu haben.
Nach einem halben Jahr erreicht er sein Ziel. Eine verkrampfte Vagina, die sich schließlich entspannt, das Glied einlässt. Ein leiser Schrei, als wäre das Hymen wieder zusammengewachsen und ein zweites Mal gerissen. Sie schläft an seiner Brust ein, ihre Hände in seinen, sie hält das Glück fest umschlungen. Sie ist nicht mehr auf der Erde, sie ist ein kleiner Teil der Ewigkeit, und im Religionsunterricht hat man ihr gesagt, die Ewigkeit sei unendlich.
In der Dämmerung wachen sie wieder auf. In der Wohnung sind nur sie beide. Zwei Wochen nach Hans’ Geburt verschwand die Mutter spurlos, der Vater scheint auf der Flucht zu sein, er ist nie zu Hause, dabei hat er angeblich keine Freundin und verkehrt auch nicht in Wirtshäusern.
Hand in Hand gehen sie im Wohnzimmer auf und ab. Ein Spaziergang zwischen Möbeln, die sie umrunden wie Bäume. Zwei nackte Körper, die sich nicht lächerlich dabei vorkommen, wenn sie eine Viertelstunde lang auf fünfundzwanzig Quadratmetern herumlaufen. Angelika erinnert sich noch daran. Selbst nach Krieg, Folterung, jahrelanger Gefangenschaft vergessen Märtyrer ihr erstes Mal nicht.
Am Abend fiel Fritzl Angelikas aufgeräumter Blick auf, ihr gelöstes Gesicht, ihr lässiger Gang. Sie wirkte geläutert. Die Wolke der Angst, die ihr normalerweise folgte, ihr vorauseilte, sie umgab und durch die man sie sah, hatte sich aufgelöst. Fritzl begriff, dass jemand sie geliebt hatte.
Er hatte ihr bereits eine geschmiert, als sie nach Hause gekommen war.
,,Wieder zu spät! Nur in die Hölle wirst du pünktlich kommen.“
,,Es ist erst sieben Uhr.“
Ein Hieb gegen die Brust, ihr Kopf traf auf die Wand.
Beim Abendessen schimpfte er sie eine kleine Nutte. Anneliese setzte noch eins drauf:
,,Kein Mann will eine Herumtreiberin heiraten. Keiner lässt sich auf ein Mädchen ein, das nach anderen Kerlen stinkt.“
Angelika warf ihr Glas um, verließ den Tisch. Anneliese folgte ihr, man hörte Angelika schreien, dann schlug ihre Zimmertür zu.
Fritzl fuhr fort mit seinen nächtlichen Besuchen, seinen Schikanen, seinen Beschattungen. Manchmal passte er sie mit einem Lächeln auf den Lippen vor Hans’ Haus ab und brachte sie nach Hause, er drückte ihren Arm so fest, dass sie blaue Flecken von seinen Fingern bekam.
Kaum war die Wohnungstür zu – Eifersuchtsszenen ohne Vorwürfe, ohne Beschimpfungen, fast leise bis auf das Geräusch der Schläge.
An einem Sonntagnachmittag kam sie noch schläfrig aus Hans’ Wohnung. Sie ließ den Aufzug kommen. Als die Tür sich öffnete, tauchte Fritzl Stück für Stück vor ihr auf. Er packte sie wie sein Eigentum. Als er die Kabine zwischen zwei Stockwerken blockierte, schrie sie nicht. Er vergewaltigte sie.
Ohne besonderen Grund schimpfte Anneliese sie tagtäglich eine Hure, so wie eine anhängliche Frau ständig ,,Ich liebe dich“ zu ihrem Lebensgefährten sagt. Automatisch haute sie ihr eine runter, wenn sie ihre Tochter in der Küche antraf oder ihr auf dem Gang begegnete.
Fritzl hatte sie verraten, Anneliese kannte sogar den Namen des Schuldigen.
,,Sohn eines Spenglers! Warum nimmst du dir beim nächsten Mal denn nicht gleich ein Findelkind?“
Anneliese hasste Liebesgeschichten. Sich zu vereinigen, nur um ein paar Glücksmomente zu erhaschen, war für sie die reine Liederlichkeit, pervers, etwas, das man im Puff tut. Liebesgeschichten, miese Märchen voller verkleideter Penner, die ihr die Kinder wegnahmen. Für Anneliese waren sie Ausdruck des Erwachsenseins, das bevorstand, dieser Freiheit, von der ihre ersten drei Kinder gleich am Tag nach ihrer Volljährigkeit Gebrauch gemacht hatten. Sie hatten das Nest verlassen, und da die Mutter daraufhin keinerlei Macht mehr über sie besaß, hatte sie diese Nestflüchtlinge auch gleich vergessen.
Sie wollte besitzen, herrschen. Genauso wie Fritzl. Wäre sie ihr ganzes Leben lang fruchtbar gewesen, hätte sie bis zu ihrem Tod Junge geworfen. Wenn Fritzl ihr ein Kind aus dem Keller brachte, freute sie sich nicht, sie fand es auch nicht süß oder lieb. Sie nahm es entgegen wie ein
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