Claustria (German Edition)
auf die Straße.
Ein Kind hält sich die Ohren zu, als das Motorrad an ihm vorbeifährt. Sie verfahren sich, alle Straßen sehen gleich aus, eine Kreuzung nach der anderen, dicht vorbei an Autoschlangen, dann die Landstraße in der Sonne.
Angelika zieht den Helm ab, um den Wind zu spüren. Das Land, die Berge, die Weiden und die Kühe, die das Gras wiederkäuen wie Philosophen metaphysische Hypothesen.
Das Motorrad ist am Feldrain abgestellt. Schneller Sex, Margeriten und Klatschmohn werden zerdrückt. Autos fahren vorbei, ohne sie zu sehen, oder werden kaum langsamer, so rücksichtsvoll, so höflich, so diskret sind sie, wenig entsetzt über die beiden glatten, heißen, schwitzenden Körper, von denen jeden Moment Dunst aufsteigen kann, so sehr triefen sie unter der Sonne, die so brennt, dass die Eier im Hintern der Hühner hart werden.
Die Kleider kleben an der Haut, die Haare trocknen in hundertzwanzig Stundenkilometern über dem gleißenden, geschmolzenen Asphalt, einem schwarzen Spiegel, in dem sie meinen, den blauen Himmel gespiegelt zu sehen.
Ortstafeln rasen vorbei, sie nehmen eine winzige Straße, um in der Sonnenachse zu bleiben. Unter der abgefahrenen Teerschicht sieht man die Erde. Sie rutschen auf Schlammspuren, Angelikas Aufregung, wenn sie sich dem Boden nähern. Keine Gefahr, zu sterben, zu fallen, das Gesicht aufzuschürfen.
Sprünge auf den Bodenwellen, Augen im Wind, offener Mund, um die Atmosphäre zu trinken, sie zu leeren wie ein Glas und lebendig zu werden. Nichts steht still, leichter Wind bewegt die Bilder, das Gras an den Berghängen zittert, man sieht Bäume wachsen, Felsen, Kieselsteine aufblitzen. Zwischen den Schenkeln das vibrierende, glühende Motorrad.
Ein Weiler, ein Brunnen, der sein Wasser in einen ausgehöhlten Baumstamm spuckt. Ein verlassener, verfallener Bauernhof, verirrte Vögel flattern in der Scheune ohne Dach. Ein Traktor ohne Motor, ein Rosthaufen, Reste von Reifen, braun geworden wie Seemannshaut. Werkzeugstiele, Werkzeuge ohne Stiel, ein Schubkarren ohne Rad, ein Ständer fehlt. Staub auf ihrem Rücken, Gischt hinter ihrem Boot. Angelika drückt Thomas, sie ist feucht, er, der Penis als Galionsfigur.
Ein Dorf, alte Männer in Lederhosen an Tischen auf einer Terrasse auf Waschbetonpfeilern. Ein Gasthof, der ganz dünn aussieht, so schmal ist er, so spitz sein Dach. Ein Geschäft mit großen Schaufenstern, es gibt dort Fernseher, Radiatoren und hinten Kleider, vorwiegend in Blau.
Das Motorrad hält ein Stückchen weiter vorn vor einer dieser modernen Bars aus den Fünfzigerjahren mit Hockern, Sesseln, Resopaltischen. Einander gegenüber hängen Werbeschilder für Pepsi Cola und Coca Cola , ein jedes an seine eigene Wand genagelt, starren sie sich an wie Porzellanhunde.
Bier, Würstchen, Bier. Ein kleiner, schwankender Rundgang durchs Dorf. Ein zerknautschter Joint, bereits gebaut, vergessen in einer Tasche. Ein paar Züge, der Rauch quillt aus den Nasenlöchern, die Stille ändert ihre Geräusche. Mittagsstille, Insektensummen, Tschilpen, Stimmen, denen man weder das Geschlecht noch das Alter anhört. Nun wird alles deutlich, das absolute Gehör des Dirigenten, der jedes Instrument einzeln hört. Sie meinen, von fern ein Paar sprechen zu hören. Sie gehen hin, kommen ihm so nahe, dass sie sich selbst erkennen, zueinanderkommen und nicht mehr dieses komische Gefühl haben, sich selbst weit weg reden zu hören. Sie lachen, sie sind durstig, schon sind sie wieder in der Bar, und es kommt ihnen so vor, als würden sie das Bier so schnell trinken, wie es aus dem Fass rinnt.
Wieder auf der Autobahn, Halt an der Tankstelle. Der Tankwart sieht sie in Zeitlupe vom Motorrad steigen und dann mit abgehackten Schritten gehen. Sie halten sich an einem Pfosten fest, lassen sich fallen. Man könnte meinen, sie schlafen ineinanderverschlungen.
Das Motorrad liegt auf dem Boden, der Tankwart hebt es auf und stellt es auf den Ständer. Er nimmt eine Gießkanne, zögert aber, die beiden nass zu spritzen, damit sie wieder zu sich kommen. Er lässt es sein, achselzuckend geht er in seine Kabine zurück, um ein Brahmskonzert zu hören. Auf dem Konservatorium hat er die Partitur studiert, dann musste er seine Karriere als Violinist begraben. Er hatte den Zeigefinger der linken Hand verloren, als er seinem Vater geholfen hatte, mit einer Kreissäge Holz zu machen, und das Sägeblatt zusammen mit seinem Finger davongeflogen war.
Sie würden schon irgendwann aufstehen, beim Fahren
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