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Claw Trilogy 01 - Fenrir

Claw Trilogy 01 - Fenrir

Titel: Claw Trilogy 01 - Fenrir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M D Lachlan
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zum Boot, sondern war weicher. Herumdrehen konnte er sich nicht, also schob er sich mit den Beinen weiter. Es war eine ungeheure Anstrengung, und er geriet trotz der Kälte ins Schwitzen. Schließlich lag er mit dem Kopf vor etwas, das sich anfühlte wie der Mantel eines Mannes. Stöhnend schob er sich weiter hinauf. Ein Arm. In kleinen Rucken rutschte er über das vereiste Deck, bis sich die Muskeln verkrampften und ihm den Dienst verweigerten. Die Gelenke waren ebenso blockiert wie das festgefrorene Schiff. Dann entdeckte er eine Hand, die nicht von einem Handschuh geschützt wurde. Helgis Männer hatten die Ruderer ausgezogen und nach Wertgegenständen gesucht. Jehan lag neben einem halbnackten Wikinger.
    Er drehte den Kopf herum, bis er einen Finger in den Mund bekam. Er hatte zu viel erwischt, den ganzen Finger, und konnte nicht abbeißen. Jehan schob die Hand mit den Lippen weg, bis er nur noch eine Hautfalte zwischen den Zähnen hatte. Der erste Biss war die reine Qual. Er konnte kaum die Haut aufreißen, sein Kiefer war wie ein altes Tor, das verrostet und verfallen ist und sich nicht mehr rühren will. Doch schließlich gelang es ihm, und der Geschmack von saftigem Blut erfüllte seinen Mund und verhieß noch mehr. Er schluckte und biss wieder zu.
    Einen Moment lang erinnerte er sich an sein früheres Leben: die Kapelle am Abend, der Rauch der Bienenwachskerzen in der Luft. Dann verblasste die Erinnerung und huschte davon wie ein Hase im Wald. Das alte Leben war vorüber.
    Während die Mönche von Saint-Germain zwischen der Vesper und der Komplet ihren Pflichten nachkamen, biss er zweimal ab. Zwischen der Komplet und der Nokturn aß er sechs Bissen. Zur Laudes, als die Sonne den Dunst grau erglühen ließ, hatte er das Fleisch der ganzen Hand gegessen. Sein Hals war beweglicher, der Unterkiefer stärker. Zur Prim hatte er den größten Teils des Arms abgenagt. Zur Terz hatte er schon genug Kraft, um den Leib aufzureißen und Lunge, Leber und Herz zu verschlingen. Als die Vesper nahte, saß er aufrecht im Boot, und seine Kleidung war mit dem gefrorenen Blut des Wikingers bedeckt. Doch das Blut in seinen eigenen Adern war jetzt warm, und die Gedanken des Beichtvaters wurden nicht mehr von der Kälte beherrscht.
    Jehan stand auf und legte eine Hand an seinen Hals. Der Stein war verschwunden. Dann betrachtete er, was er gerade getan hatte. Er spürte, wie der Wolf in ihm beinahe grinste und zufrieden eine Weile ausruhte, ehe er weiterfraß. Jetzt schon hatte er das Gefühl, die Zähne seien viel zu groß für den Kopf, und der Mund sei für sein Denken viel wichtiger als die Hände. Die Veränderung, die er schon einmal durchlebt hatte, brach sich jetzt mit Macht Bahn. Das Gefühl war schon da – eine Mischung aus Furcht und Freude, sobald der Mensch das Tier in sich erkannte.
    Warum erlegte Gott ihm dies noch einmal auf? Er war wieder zu sich gekommen und hatte sich sogleich wieder verloren. Er wäre es zufrieden gewesen, zu sterben und sich der Gnade Gottes auszuliefern. Jetzt war er dazu verdammt, wieder auf der Erde zu wandeln, seinen abscheulichen Gelüsten hilflos ausgeliefert.
    Die Korintherbriefe fielen ihm ein: Ihr könnt nicht zugleich trinken des Herrn Kelch und der Teufel Kelch; ihr könnt nicht zugleich teilhaftig sein des Tisches des Herrn und des Tisches der Teufel. Er betrachtete die geschändete Leiche. Was war das, wenn nicht der Tisch der Teufel? Der Herr hatte ihn verstoßen, oder er hatte sich selbst verstoßen. Was auch geschehen war, hiernach konnte er nicht mehr auf den Himmel hoffen. Was dann? Sehenden Auges in die Hölle gehen? Niemals.
    Der Wolf hatte mehr mit ihm getan, als ihm den Appetit eines wilden Tiers einzugeben. Er hatte ihn auch spirituell auf die Ebene eines Tiers hinuntergezogen. Sein ganzes Leben war auf die Vorstellung einer künftigen Belohnung ausgerichtet gewesen, auf den Himmel. Der Wolf hatte diese Idee zerfleischt und ihn an die Gegenwart gekettet. Sein früheres Leben war zerstört, und was die Zukunft brachte, wusste er nicht. Der Augenblick war alles, was er hatte, eine endlose Abfolge von Momenten. Dies und Aelis, in deren Nähe ihm die Gegenwart genug war. Andere hatten sie mitgenommen. Entführt? Versklavt oder ermordet? Er würde es herausfinden. Dann suche sie. Der Wolf konnte sie finden, wie er sie schon einmal gefunden hatte. Er kam sich vor wie ein Felsblock über einem Abhang. Ein kleiner Stoß, und er würde mit unwiderstehlicher Kraft

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