Claw Trilogy 01 - Fenrir
du, woher sie kommen?«
Leshii wollte nicht die Religion der Nordmänner schmähen und sie eine bloße Geschichte nennen, also sagte er: »Ist das nicht eine heilige Überlieferung?«
»Es sind die Worte des irren Gottes Odin, des Gottes der Könige, der Magie und der Gehenkten. Also ist Munin tot?«
»Die Hexe starb in Flandern.«
Helgi nickte. »Ich hätte nie gedacht, dass auch dieser Vers eine Prophezeiung sein könnte.«
Leshii war zu klug, um dem König unaufgefordert eine Frage zu stellen, überlegte aber insgeheim, worin genau die Prophezeiung bestand.
»Die Zeichen sind alle da«, verkündete Helgi. »Alle. Der Nebel ist keines natürlichen Ursprungs, ein mächtiger Krieger erscheint in Begleitung der Raben aus dem Eis.«
»Das ist nicht so geheimnisvoll, wie es klingt«, wandte Leshii ein. »Wir haben auf dem Boot einen anderen, sehr mächtigen Zauberer getroffen. Er führte uns hierher und half uns.«
»Wie das?«
»Er beschwor einen Wind herauf und ließ das Eis schmelzen. Wir segelten am See vorbei und ein gutes Stück den Fluss hinauf, ehe er das Schiff nahm und zurückkehrte.«
Helgi erbleichte. »Kein Mensch hat solche Kräfte. Die Magie ist die Kunst der Frauen. Nur die Götter in Menschengestalt können solche Dinge tun.«
»Er war ein Mann, Herr. Groß gewachsen, bleich und den Haaren nach einer aus deinem Volk.«
»Was war mit seinen Haaren?«
»Sie waren feuerrot. So rot wie der Kamm eines Hahns, und sie standen als Büschel auf dem Kopf. Er steuerte uns selbst hierher und blieb stets dem Ufer fern, was gut war, weil die Franken und die Jomswikinger in ihrem Kampf die ganze Küste in Brand gesteckt haben.«
Der Prinz warf seinen Becher zu Boden. Der Gott, der aus dem Schneesturm erschienen war, und jetzt kam Loki auf einem Schiff. Helgi erinnerte sich an die Prophezeiung:
Der Kiel fährt von Osten, da kommen Muspels Söhne
Über die See gesegelt; sie steuert Loki.
Des Untiers Abkunft ist all mit dem Rabenvolk.
Es war eine Vorhersage, was am Ende der Zeit geschehen würde, bevor Odin am Tag der Götterdämmerung gegen den Wolf kämpfte. Dieses Schiff kommt jedoch von Westen. Aber was ist der Westen? Es ist durch das Ostmeer gefahren. Prophezeiungen waren selten völlig klar, das wusste er.
Der khagan fasste sich wieder. »Sorgt dafür, dass der Händler eine Belohnung erhält«, sagte er. »Gebt ihm fünfzig Denier, und er darf in unserer Halle bleiben, wenn er es wünscht. Oder wo sonst er leben will. Ich nehme an, er will eine Sklavin für das Bett, und die Slawen haben in solchen Dingen eine eigenartige Neigung, sich zurückzuziehen.« Er wandte sich an einen druzhina . »Es ist Zeit, das Mädchen endgültig in Sicherheit zu bringen.«
»Und die Fremden auf dem Eis, Herr?«
»Tötet sie. Nimm sechzig Männer mit.«
»Ja, khagan.« Der Krieger eilte aus der Halle.
73
Helgis Schicksal
D ie Konstruktion der Grube war schwierig gewesen und hatte drei Sklaven aus dem Osten das Leben gekostet, weil sie, schon halb fertiggestellt, wieder eingestürzt war. Jetzt war sie vollendet, die Wände waren geglättet, und sie war so tief wie drei Männer. Sie befand sich an der Stelle, wo Gillingrs Grab gewesen war.
Dorthin führten sie Aelis mit einem drohenden Speer im Rücken. Der Kieselstein war unendlich schwer, mühsam schleppte sie sich durch den Nebel. Es war nicht einmal nötig gewesen, sie zu fesseln. Seit sie den Stein am Hals trug, konnte sie nicht mehr klar denken und bewegte sich nur noch schwerfällig. Die Runen schwiegen in ihr. An der Mündung des Schachts blieb sie stehen und sah sich um. Der Nebel hatte der Landschaft alle Farben ausgesaugt. Schwarze Felsen lagen auf einem grauen Hügel.
Ein bunter Haufen Einwohner folgte ihnen – neugierige Frauen und Kinder, die sich darüber freuten, nach so langer Zeit im Nebel unter dem Schutz der druzhina endlich wieder einmal die Stadt verlassen zu können. Der Händler kam auf seinem Maultier ebenfalls mit. Er hatte die Schwerter aufgegeben und in der Halle liegen lassen. Als er gehört hatte, was Aelis bevorstand, hatte er die Lust auf seinen Profit verloren.
An der Mündung des Schachts stieg er ab und humpelte zu Helgi. Aelis konnte beobachten, dass er den König anflehte und ihn um irgendetwas bat, aber sie verstand nicht, worum es ging. Sie beherrschte das Norwegische nicht mehr. Immerhin wusste sie, dass sie schon einmal gelebt hatte, und erinnerte sich an vieles, was ihr damals geschehen war, wenngleich nicht in
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