Clemens Gleich
auf der Flucht vor Krul und Sansaral." Pause.
"Und jetzt auch vor Trok", antwortete eine gemein krächzende, anonyme Stimme. "Aber da werden sie wohl nur ein paar Schritte weit kommen." Hämisches Lachen.
"Die anderen Stämme würden sich bestimmt massiv ärgern, wenn ihr uns helft, dass die beiden unerkannt wegkommen", versuchte Fuzz, obwohl er wusste, dass er nur eine Sache hatte, mit der er wirklich handeln konnte.
"Was für ein schlechtes Geschäft", krächzte es. "Wir wollen die Frau. Aber die haben wir schon. Ihr habt uns nichts mehr anzubieten." Fuzz kniff im Schutze der Dunkelheit sein gesamtes Gesicht zusammen, unterdrückte die Feuchtigkeit, die ihm in die Augen steigen wollte. Dann atmete er aus und sagte mit der Ruhe der Resignation:
"Lasst uns in Ruhe. Lasst uns durch. Ich kann euch 'was geben, das ihr nirgends sonst kriegt." Abwartende, auffordernde Stille aus der Masse. Fuzz fuhr fort:
"Ich bin das Träumende Kind. Ich kann euch meine Kinderträume geben. Es sind sehr schlimme Träume dabei..." Überlegende Stille.
Schließlich traten ein paar Augenpaare nach vorne ins Zwielicht. Die Augenpaare gehörten zu kleinen Humanoiden mit nachtschwarzer Haut und schimmelweißen Haaren, die nur mit je einer Penishülse bekleidet waren – zuzüglich so vieler Waffen, wie sie an einer Schnur um die Hüfte tragen konnten. Ihre Augen sahen trotz Licht immer noch silbrig aus. Einer der Männer streckte seine linke Hand aus. Fuzz griff langsam danach. Beide griffen die ihnen entgegengestreckte Hand hinterm Gelenk, schüttelten sie und lösten die Geste mit einer Art gegenseitiger Streichelbewegung. Der schwarze Mann grinste breit, wobei er ein Gebiss zeigte, das aus irgendeinem Grund im Dunkeln leuchtete.
"Willkommen in Trok. Vielleicht kommt ihr auf eurer Flucht doch weiter, als ich gerade vermutet habe." Fuzz verbeugte sich. Er hätte zu einem beliebigen Zeitpunkt vorher flüchten können, dachte er. Wieso war er geblieben, wieso blieb er immer noch, um einen hohen Preis für jemand anderen zu bezahlen? Aber diese Fragen waren nur rhetorisch. Die Wahrheit lautete: Er mochte Pikmo. Mittlerweile mochte er sogar Jianna. Er mochte sie gern genug, um elementare Opfer für sie zu bringen. Nur zugeben musste man das ja nicht.
"Wir danken dem Geflecht von Trok", sagte der Junge. "Ich persönlich wäre ja lieber die Frau losgeworden, aber was tut man nicht alles für die Freundschaft der Dunklen Leute..." Der schwarze Mann zog von weiß-der-Himmel-wo beziehungsweise von will-der-Himmel-gar-nicht-wissen-wo ein schmales Päckchen aus gefalteten Blättern heraus.
"Ich gebe euch als Teil der Abmachung noch Sporen mit, die ihr oben als Zeichen des Dankes verteilt."
"Ach, meinetwegen." Fuzz nahm den Umschlag ohne Begeisterung entgegen. Der schwarze Mann grinste sein Strahlelächeln.
"Träum weiter, Kind!", sagte er. Die von diesem Austausch vollkommen verwirrte Jianna fühlte sich selbst bereits wie in einem verschachtelten Traum, einem von diesen, in dem sie nie wusste, ob sie nun wach war oder nur träumte, dass sie das war.
Telemann war wach. Er betrachtete für einen Moment die schlafenden Körper von Pi und Fidi, die ineinandergelöffelt in den neuen Tag dösten. Der Traum von Liebe, dachte er kopfschüttelnd. Muss das schön sein. Wobei es wahrscheinlich etwas vorschnell war, das Wort "Liebe" für das zu benutzen, was da auch immer zwischen einer Hure und einem Irren vor sich ging. Achselzuckend drehte der Lotse sich um und flatterte auf die dem Schlafplatz angrenzende Terrasse hinaus: ein riesiger, runder, flacher Stein, wie die Münze eines Giganten, auf dem das Frühstück aufgetragen wurde. Der Stein war von einer lebenden Polsterung aus Flechten und Moosen bewachsen. Die Möblierung des Frühstücksraums bestand ebenfalls aus gerundeten Steinen: Steinschemel und -bänke umstanden einen Steintisch. Ein großer Ast des Riesennadelbaums, in dessen Höhlen sie genächtigt hatten, hing zischen dem Essen und dem grauen Himmel, und ein Tal voll feuchten Nadelwalds erstreckte sich im Blickfeld.
Ein sommersprossiges Gesicht unter einer elektrischen Explosion aus braunrotem Haar lugte über den Rand der Gigantenmünze. Telemann winkte einladend mit einem Flügel. Das Gesicht quiekte erschrocken. Telemann grinste aufmunternd. Das zeigte ein Maul voller spitzer Zähne, wirkte aber dennoch: Der kleine Kellner kam vorsichtig an den Tisch, auf dem Telemann saß und trotzdem zu ihm aufschauen musste.
"Wann ist das letzte
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