Cleo
versucht, noch mehr Gäste einzuladen. Aber er sagte, er sei zufrieden mit seinem besten Freund und Rob und Rata. Er bestand nur darauf, seine Kerzen selbst anzuzünden. Diese Bitte war leicht zu erfüllen.
Ich breitete Zeitungspapier auf dem Küchentisch aus undlöffelte die weiß schimmernde Glasur auf den Kuchen. Die Konsistenz war gerade richtig, weich und glatt. Um zu beweisen, dass ich eine halbwegs kreative Mutter war, rührte ich in die restliche Glasur im Topf etwas Kakaopulver, gab ein bisschen kochendes Wasser dazu und tropfte eine große, zittrige »9« auf den Kuchen. Sam drückte ein paar Jellybeans in die klebrige Masse.
Als er zu mir aufsah, verdunkelten sich seine saphirblauen Augen. Plötzlich wirkte er alt und weise. Diesen Ausdruck hatte ich in letzter Zeit öfter an ihm bemerkt. Es verunsicherte mich, insbesondere, wenn er dabei auch noch Dinge sagte, die von einer Seele zu stammen schienen, die schon unzählige Male die Erde besucht hatte und sich bewusst war, dass sie sich stets nur auf der Durchreise befand.
»Es war eine gute Zeit um zu leben«, sagte er und hielt Rata unter dem Tisch heimlich Jellybeans hin.
»Es ist eine tolle Zeit um zu leben«, verbesserte ich ihn.
»Ich bin neidisch auf Opa. Als er gelebt hat, wurden die ersten Autos gebaut und sie haben angefangen, mit Flugzeugen rumzufliegen. Er hat mitgekriegt, wie sie in den Städten Strom und Kinos bekommen haben. Das muss ganz schön aufregend gewesen sein.«
»Stimmt, aber wenn du alt bist, dann wirst du noch größere Veränderungen erlebt haben. Dinge, die wir uns jetzt noch nicht einmal vorstellen können. Du wirst einmal zu deinen Enkeln sagen können: Ich hatte eine der ersten Superman-Digitaluhren überhaupt. «
Er sah auf seine Uhr und verzog den Mund zu einem diplomatischen Lächeln. Am liebsten hätte ich ihn an den Schultern genommen und an mich gezogen, um den köstlichen Geruch seiner Haut zu riechen.
»Das war ein Witz, als ich sagte, dass ich die Katze E. T.nennen will«, gestand er und kratzte mit einem Teelöffel die letzten Reste der Schokoladenglasur zusammen, um sie sich in den Mund zu stecken. »Ihre Mutter sieht wie eine ägyptische Königin aus. Ich finde, wir sollten sie Cleopatra nennen. Abgekürzt Cleo.«
»Cleo«, sagte ich, fuhr ihm durch die Haare und fragte mich gleichzeitig, ob Kinder jemals die schmerzhafte Tiefe elterlicher Liebe begreifen konnten. »Das ist ein schöner Name.«
»Ich werde mich ganz viel um Rata kümmern, damit sie nicht eifersüchtig auf das Kätzchen wird. Gestern habe ich zweimal ihr Fell gebürstet. Wir haben viel darüber gesprochen. Sie wird Cleo mögen.«
Rata legte ihren Kopf auf seinen Schoß und sah mit wässrigen Augen zu ihm auf.
»Sie scheint jedes Wort, das du sagst, zu verstehen«, sagte ich.
»Tiere wissen viel mehr als Menschen. Hunde wissen, wann ein Erdbeben kommt. Vögel fliegen auf der Suche nach ihrem Nest um die halbe Welt. Wenn die Menschen öfter auf die Tiere hören würden, dann würden sie nicht so viel falsch machen.«
Sam hatte schon als Baby eine enge Beziehung zu Tieren gehabt. Unsere Spaziergänge führten uns meistens an Plätze, wo es Tiere gab. Von seinem Kinderwagenthron aus winkte er mit seinen pummeligen Ärmchen allen Hunden und Katzen zu, die unseren Weg kreuzten. Eines Tages deutete er auf eine Möwe, die über unseren Köpfen kreiste, und sagte sein erstes Wort – »Dogel!«
Tiere stellten für Sam auch eine sinnliche Erfahrung dar. Er liebte es, Fell und Federn zu streicheln. Meine Mutter schenkte ihm ein schwarz-weißes, vom Alter glänzendesZiegenfell, das er in sein Bett schleppte und auf dem er fortan schlief, weil es so angenehm weich war.
Er nutzte den ihm angeborenen schrägen Humor, um seine Grenzen auszuloten. Als er klein war, tat ich einmal so, als sei ich über seine Ausdrucksweise schockiert. Er rächte sich, indem er hinter mir herlief und dabei summte: »Po, Po, Polizei, Po, Po, Polizei.« Spinner, der er war, warf er sich an seinem achten Geburtstag angezogen in die volle Badewanne und bestand darauf, den ganzen Tag über eine Affenmaske und dazu die passenden Fellfüße zu tragen. Das Leben war einfach zu schön, um sich keinen Spaß daraus zu machen. Ich konnte das gut nachvollziehen. Seine Lehrer fanden ihn allerdings nicht alle lustig, wobei sich keiner von ihnen beschwerte, als er mit acht Jahren schon wie ein Dreizehnjähriger lesen konnte. Bei all seiner Friedfertigkeit hatte er durchaus einen
Weitere Kostenlose Bücher