Cleo
konnte. Vielleicht war der herzlose Tierarzt doch nicht ganz so herzlos.
Zu Hause befreite ich unsere Möbel von den alten Handtüchern und Decken, um mich daran zu erinnern, wie viel hübscher und sauberer ein Leben ohne eine sabbernde, haarende alte Katze sein würde. Als ich in der Waschküche Cleos Bett betrachtete, wollte ich im ersten Impuls das stinkende Ding in den Mülleimer vorm Haus werfen – aber das schaffte ich dann doch nicht.
Jedenfalls würde ich sie nicht der Tierkörperverwertungsanstalt überlassen. Wenn es überhaupt so weit kommen sollte, dann würde sie ein Grab neben dem Lorbeer am Gartentor bekommen.
Philip kam früh genug vom Büro nach Hause, um den Anruf um fünf Uhr zu übernehmen. Der herzlose Tierarzt forderte uns auf zu kommen. Das war kein gutes Zeichen. Katharine weigerte sich mitzukommen und rührte sich nicht vom Fernseher weg, als wir uns auf unseren traurigen Weg machten.
Der herzlose Tierarzt war jetzt freundlicher. So nett tat er wahrscheinlich immer, wenn es ans Einschläfern ging.
»Sie hatte den ganzen Tag über keinen Anfall mehr«, sagte er. »Sie hat zwar nichts gefressen, aber ihre Vitalfunktionensind gut und ihr Herz ist stark. Für ihr Alter ist sie in erstaunlich guter Verfassung.«
Das Leuchten seiner Augen sagte alles. Mochte sie auch hinfällig sein, mit ihrer Entschlossenheit, sich nicht von dem Diagramm mit der Lebenserwartung von Katzen an seiner Wand unter Druck setzen zu lassen, hatte sie ihn für sich eingenommen.
Er hüllte sie in die blaue Decke und gab sie uns zusammen mit ein paar Tabletten, die ihren Appetit anregen sollten. »Ach, und wenn Sie sie wirklich zum Fressen bringen wollen, da ist ein ausgezeichneter Hühner-Imbiss auf der gegenüberliegenden Straßenseite«, sagte er. »Ich weiß nicht, was die mit den Hühnern machen, aber Katzen kennen kein Halten mehr, wenn sie das auch nur von ferne riechen.«
Der tägliche Gang zum Hühnermann erspart vermutlich den Tierarzt. Den ganzen Heimweg über schnurrte Cleo.
Zu Hause breitete ich wieder die alten Handtücher und Decken über die Möbel und schüttelte ihr stinkendes Bett aus. Wir lebten auf geborgte Zeit, aber eines hatte ich durch Sams Tod gelernt: Unsere Zeit ist immer nur geliehen. Für jeden von uns kann sich alles von einem Tag auf den anderen unwiderruflich ändern. Im Bewusstsein dessen räumte ich jedes Mal, bevor ich das Haus verließ, meine Frisierkommode auf, falls ich aus irgendeinem Grund nicht mehr zurückkehrte. Ich war wirklich kein besonders ordentlicher Mensch, aber als völliger Chaot wollte ich auch nicht in die Geschichte eingehen.
Ich rief Rob in England an, um ihn auf den neuesten Stand zu bringen.
»Ich habe gerade versucht, dich anzurufen, aber es war besetzt«, sagte er.
»Klar, weil ich gerade deine Nummer gewählt habe«, erwiderteich, und um nicht gleich mit der schlechten Nachricht über Cleos Gesundheitszustand herauszurücken, fragte ich: »Worüber wolltest du denn mit mir sprechen?«
»Ich ertrage nicht noch einen englischen Winter. Die Leute leben hier die meiste Zeit im Dunkeln unter der Erde, wie die Maulwürfe. Man hat mir eine Stelle als Ingenieur in Melbourne angeboten. Die Sache hört sich richtig gut an. Ich werde Weihnachten wieder zu Hause sein.«
Nicht lange nach Robs Rückkehr stand eines Tages unverhoffter Besuch vor unserer Tür. Ein groß gewachsener, dunkelhaariger junger Mann, der wie eine Mischung aus Brad Pitt und Johnny Depp aussah. Ich musterte das Filmstarkinn, die geschwungenen Augenbrauen. Aber erst als ich ihm in die Augen sah, erkannte ich ihn.
Aus dem Milchgesicht Jason aus Robs Kindertagen am Ziegenpfad war ein sympathischer junger Mann geworden. Ich empfand den Besuch von Ginnys Sohn als Riesenkompliment. Er küsste mich auf beide Wangen. Einen Moment lang war ich sprachlos. Dieser Mann hatte kaum noch etwas mit dem braunhaarigen Jungen mit den mandelförmigen Augen und dem schelmischen Lächeln gemein. Als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er mir gerade bis zur Taille gegangen. Es rührte mich, dass er so gute Erinnerungen an uns hatte und viele Jahre später höchstpersönlich bei uns auftauchte.
»Sagen Sie bloß, Cleo ist noch am Leben!«, rief er.
»Gerade noch«, erwiderte ich. Ich rief Rob an und verabredete mich mit ihm in einem Café unweit seiner Arbeitsstelle. Rob brauchte nicht mehr als eine Sekunde, um in dem Überraschungsgast seinen alten Freund wiederzuerkennen. Ich sonnte mich darin, mit
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