Cleo
junges Kätzchen einen Baumstamm hoch – bis sich ungefähr auf halbem Wege das Alter bemerkbar machte und sie nicht besonders elegant wieder nach unten rutschte.
Cleos einstmals so schlanke und zierliche Beine wurden stämmiger und sie bekam dicke Beulen an den Stellen, wo beim Menschen Knie und Fesseln sind. Aber sie beklagte sich nie. Ich schleppte mich in die Gymnastik und stemmte Gewichte, um etwas gegen meine Rücken- und Nackenschmerzen zu unternehmen, die mir erspart geblieben wären, wenn ich wie Cleo mein Leben auf allen vieren zugebracht hätte. Wäre der Mensch nicht irgendwann auf die Idee verfallen, sich auf zwei Beinen fortzubewegen, müssten Alte sich darüber hinaus keine Sorgen machen, zu stürzen. Auch hier erwies sich die Katze uns gegenüber als eine höher entwickelte Art.
Äußerlich machten wir zwar langsam den Eindruck, alt zu werden, aber innerlich verwandelten wir uns in aufmüpfige Teenager. An der Supermarktkasse war ich bis dato als braves Schaf bekannt gewesen. Jeder, angefangen vom Kleinkind bis zum Greis, wusste, dass man sich ohne Weiteres vor mich in die Schlange drängen konnte. Mein neues revoltierendesIch hielt jedoch die Stellung, wenn so ein Drängler auftauchte. Ich war sogar zu einem »Na, hören Sie mal!« imstande. Ständig füllte ich irgendwelche Beschwerdeformulare aus und legte erbarmungslos sofort auf, wenn wieder einmal ein Telefonverkäufer aus Mumbai anrief.
Cleo entwickelte dafür Hochnäsigkeit zur Kunstform und schlug mich darin um Längen. Als uns einmal unsere sehbehinderte Freundin Penny mit ihrer Hündin Mishka besuchte, stellte ich zwei Näpfe mit Wasser auf den Boden – einen kleinen für Cleo und einen großen für Mishka. Cleo musterte die blonde Labradorhündin von oben bis unten, dann machte sie sich über den großen Napf her. Mishka duckte sich und gab sich mit dem kleinen zufrieden.
Penny lachte, als ich mich für die grobe Unhöflichkeit unserer Hausgenossin entschuldigte. Ich erzählte ihr, dass sich Cleo schon als junges Kätzchen Rata gegenüber so verhalten hatte. Mit einem freundlichen Nicken ließ sich Penny auf dem Boden nieder. Mishka setzte sich voller Freude auf den Schoß ihrer Besitzerin. Die beiden gaben ein bezauberndes Bild ab, der treue Hund und sein Frauchen. Das war eindeutig zu viel für Cleo. Sie fixierte Mishka mit einem vernichtenden Blick, so dass das arme Tier sich mit eingezogenem Schwanz in eine Ecke verkroch und Cleo den begehrten Platz auf Pennys Schoß einnehmen konnte.
»Und wie erging es unserer armen kleinen Cleo?«, fragte Rosie, als sie mich eines Tages ohne jeden Grund anrief.
»Ach, der geht’s gut.«
»Ja, sie ist jetzt an einem glücklicheren Ort«, seufzte sie. »Ich sage immer, dass es im Miezenhimmel jeden Tag Sardinen gibt.«
»Nein, Rosie. Ich meine gut im Sinne von gesund und munter.«
»Sie lebt noch?! Du machst wohl Witze! Wie alt ist sie denn?«
Ich hatte langsam keine Lust mehr, solche indiskreten Fragen zu unserem Alter zu beantworten. »Dreiundzwanzig.«
»Aber warte mal, das entspricht ja … 161 Menschenjahren. Bist du sicher, dass es dieselbe Katze ist?«
»Völlig.«
»Wie hast du das nur gemacht? Welches Futter hast du ihr gegeben? Welche Medikamente bekommt sie?«
»Nichts Besonderes. Und wie geht’s Scruffy, Ruffy, Beethoven und Sibelius so?«
Betretenes Schweigen. »Ja, also, Scruffy ist verschwunden, Beethoven hatte Nierenversagen, und Sibelius und Ruffy sind schon vor zehn Jahren in den Katzenhimmel gekommen. Ich habe immer dafür gesorgt, dass es ihnen an nichts fehlt, anders als deiner armen kleinen Cleo. Es überrascht mich, dass du dich an ihre Namen erinnerst. Du warst schließlich nie ein richtiger Katzenmensch, oder?«
»Offensichtlich doch«, erwiderte ich. »Anders kann ich mir das nicht erklären. Cleo wäre doch sonst nie die ganze Zeit bei uns geblieben. Abgesehen davon sind wir beide so alt miteinander geworden, dass die eine praktisch die Erweiterung der anderen ist. Nein, Rosie, da hast du nicht Recht. Ich bin ein echter Katzenmensch.«
Bald darauf feierten Philip und ich in einem Restaurant unseren vierzehnten Hochzeitstag.
»Ich werde nie den Abend vergessen, als du uns in die Pizzeria eingeladen und Rob bei diesem Spiel besiegt hast.«
»Es war Schiffe versenken, oder?« sagte er und nippte an seinem Champagner.
»Nein, es war irgendetwas anderes. An diesem Abend hättest du es beinahe vermasselt. Dass du das Kind nichthast gewinnen lassen! Ich
Weitere Kostenlose Bücher