Cleo
anfängt zu bellen, wenn ein Fremder kommt. Sie ist ein richtiger Wachhund. Ihr Fell ist seidenweich. Streichelst du sie nicht gerne? Und das Beste ist, wie sie einem zuhört. Hast du nicht auch schon bemerkt, dass Rata mir immer genau zuhört?«
Mir wurde es eng ums Herz. Wie hatte eine so starke und kraftvolle Frau wie meine Mutter sich plötzlich in eine alte Dame mit welligem grauen Haar und Gleitsichtbrille verwandeln können? Die spitzen Schuhe mit Pfennigabsätzen, ohne die sie früher nie auf die Straße gegangen war, waren gegen Gesundheitsschuhe aus weichem Leder getauscht worden, die ihr mit ihren Hammerzehen keine Schwierigkeiten machten.
Aber sie bot dem Alter die Stirn. Sie kleidete sich modisch (Jacken mit Schulterpolstern in knalligen Farben, dazu passende dicke Ketten) und hielt ihrem korallenroten Lippenstift die Treue, so dass sie einen der oberen Ränge in der Kategorie Modische Erscheinung bei Endsiebzigerinnen einnahm. Dennoch wirkte sie zerbrechlicher als früher. Und dies war das erste Mal, dass sie mich um etwas bat. Sie suchte Gesellschaft, Schutz, jemanden, der sie liebte und den sie liebte, ein Paar Ohren, die ihr zuhörten.
Während ich den Tee einschenkte, ging Mum mit Rata im Gefolge den Flur hinunter zu unserem Schlafzimmer. Verglichen mit ihrem Leben strotzte meines geradezu vor Erwachsenen, Kindern und Tieren. Darüber hinaus kam jetzt bald auch noch ein Baby, auf das ich mich freuen konnte. Meine Mutter wollte nicht immer nur fernsehen und stricken.Sie brauchte Sams wegen ebenso sehr Trost wie wir, wenn nicht sogar noch mehr. Großeltern leiden doppelt – sie trauern um das verlorene Enkelkind und sie leiden mit ihrem unglücklichen erwachsenen Kind, dessen Traum von einer glücklichen Familie gestorben war.
»Das darf doch nicht wahr sein!«, brüllte Mum.
Ich folgte ihr ins Schlafzimmer. Cleo hatte es sich erneut in der Wiege bequem gemacht. Sie und Mum starrten einander böse an.
»Wie bist du nur wieder hier hereingekommen?«, fauchte sie die Katze an.
Cleo erhob sich auf alle viere, bog ihren Schwanz und fauchte zurück.
»Wahrscheinlich durch ein Fenster«, antwortete ich.
»Diese Katze ist eine Strafe!«, schimpfte Mum, packte Cleo und trug sie erneut nach draußen. »Du wirst in Zukunft deine Schlafzimmertür immer geschlossen halten müssen.«
Der Kampf um die Wiege setzte sich noch die nächsten Tage fort. Ich bemühte mich zwar, unsere Schlafzimmertür immer fest zu schließen, aber irgendwie schien sie sich beständig wieder zu öffnen. Cleo versäumte nie eine Gelegenheit, sich in ihrem neuen Bett niederzulassen, und Mum versäumte es nie, sie wieder hinauszuwerfen.
Ich scheiterte kläglich mit meinen Versuchen, einen Waffenstillstand zwischen den beiden herzustellen. Sie machten mich langsam wahnsinnig. Als ich einmal nicht einschlafen konnte, stand ich gegen Mitternacht auf und zog in der Dunkelheit den Handrasenmäher unter dem Haus hervor. Es beruhigte mich ein wenig, im Mondlicht den Rasen zu mähen (und verschaffte Mrs. Sommerville vermutlich eine gewisse Unterhaltung).
»Du wirst wohl langsam unruhig?«, fragte Mum amnächsten Morgen. »Dann kann das Baby nicht mehr lange auf sich warten lassen. Du solltest endlich diese Katze loswerden.«
Ich gab es auf. Mum kündigte ihre Abreise an. Wie immer hatte ihr Besuch nicht lange gedauert und wie immer war unser Abschied etwas unbeholfen. In unserer Familie zeigte man nicht gerne Gefühle. Als sie die Tasche in ihrem Auto verstaute, wirkte sie plötzlich wieder sehr zerbrechlich, eine einsame alte Frau in einem braunen Mantel. Unter dem wachsamen Blick von Rata, deren Schwanz auf Halbmast stand, umarmten wir uns kurz.
»Pass auf dich auf«, flüsterte ich.
»Du auch«, sagte Mum, ihre mit dicken Adern überzogene Hand schon am Griff der Fahrertür.
Die Fahrt dauerte fünf einsame Stunden, danach warteten ein Toast mit Rührei und Stricken vor dem Fernseher auf meine Mutter. Etwa um elf würde sie einen Becher Tee und ein oder zwei Kekse zu sich nehmen und dann ins Bett gehen – insgesamt also etwa zwölf Stunden, in denen sie mit niemandem reden würde. Jemandem, für den Sprechen ein Lebenselixier war, musste allein schon die Aussicht wie Folter vorkommen. Aber meine Mutter klagte nie.
»Was hältst du davon, wenn Rata eine Weile mit zu dir kommt?«, fragte ich. »Ich habe mit Rob und Steve darüber gesprochen und sie wären einverstanden.«
Mums Rücken straffte sich auf einmal und warf zehn Jahre
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