Cleo
ich ihm das Weinglas, das einige Fingerabdrücke zierten, reichte, »dass sie mich ausnahmslos zu lieben scheinen.«
Cleo rückte ein bisschen näher zu ihm hin, ohne ihren hypnotischen Blick abzuwenden, dann hob sie ein Hinterbein und fing an, sich an höchst intimen Stellen zu lecken.
»Schhhhh, Cleo!«, zischte ich sie an. Cleo konnte es nicht leiden, wenn man mit ihr redete, als wäre sie nichts weiter als ein Tier. Sie rollte sich auf den Rücken und wand sich verführerisch vor Nigel auf dem Boden.
»Das ist ein großes Kompliment«, sagte ich. »Sie will, dass Sie ihr den Bauch streicheln.«
»Nun, das geht wohl leider nicht«, sagte er, zog ein grünes Taschentuch mit Paisleymuster aus der Tasche und fuhr sich damit über den Schnauzbart. »Meine Allergie, Sie wissen schon. Ich glaube, ich muss gleich …«
Das Nachbeben von Nigels Niesattacke ließ die Vorhänge erzittern. Erschreckt sprang Cleo auf, versenkte ihre Krallen in den Teppich und reckte den Schwanz in die Höhe.
»Keine Sorge, ich werde sie wegsperren«, sagte ich.
Kaum hatte ich mich gebückt, um sie zu packen, flitzte sie davon und kletterte das Bücherregal hoch. In dem sicheren Wissen, dass ich sie dort oben nicht erreichte und Nigel esnicht versuchen würde, stolzierte sie über das oberste Regalbrett und schlug mit dem Schwanz gegen eine kostbare viktorianische Vase. Cleo war äußerst zufrieden mit sich.
»So leicht kommst du mir nicht davon!«, fluchte ich leise und zog einen der Esstischstühle zum Regal. Kaum stand ich auf dem Stuhl und griff nach ihr, hüpfte Cleo auf Nigels Schoß. Er gab ein Quieken von sich, und ich machte einen Satz und packte Cleo am Bauch. Kampflos wollte sie allerdings nicht aufgeben. Sie krallte sich an Nigels Oberschenkel fest und fiel in dessen Jaulen ein.
»Tut mir wirklich sehr leid«, sagte ich und befreite ihn von den Krallen, während er die Augen tapfer auf die Decke gerichtet hielt.
Entschlossen sperrte ich Cleo ein und ging ins Wohnzimmer zurück, wo ich einen diskret in sein Taschentuch niesenden Nigel vorfand.
»Ich bin ja eher der Hundetyp«, sagte er, steckte sein Taschentuch weg und strich gedankenverloren echte und eingebildete Katzenhaare von der Sofalehne.
»Ich auch«, sagte ich in dem Versuch, die Atmosphäre ein wenig aufzulockern. »Theoretisch wenigstens. Wir haben eine wunderschöne Golden-Retriever-Hündin, die mittlerweile bei meiner Mutter lebt. Sie ist ziemlich alt. Die Hündin, meine ich.«
»Hunde sind viel weniger aggressiv«, fügte er hinzu. »Als Kind wurde ich einmal von einer Katze angefallen.«
»Ach wirklich?«, fragte ich.
»Ja. Ich war gerade auf dem Fahrrad unterwegs, um Zeitungen auszutragen, als sich eine Katze auf mich stürzte.«
Bei der Vorstellung von einer Miniausgabe des erfolgsverwöhnten Nigel, die durch Whakatane radelte und von einer mordlustigen Katze umgeworfen wurde, musste ich mirein Lächeln verkneifen. Jetzt war allerdings klar, dass Nigels Phobie tiefen, freudianischen Gewässern entsprang. Sie war keineswegs eine unbedeutende Laune, die Cleo und ich an einem Abend ausbügeln konnten.
»Vielleicht verdanken Sie dieser Erfahrung ja die Kraft und den Durchsetzungswillen, durch die Sie erst ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden sind?«, fragte ich und schämte mich gleichzeitig dafür, aber Nigel schien die Frage ernst zu nehmen.
»So habe ich das noch nie gesehen, aber vielleicht haben Sie Recht«, sagte er und gewann wieder etwas von seiner Würde zurück. »Das hieße, ich wäre nicht dort, wo ich bin, wenn mich damals die Katze nicht angefallen hätte.«
Er machte sich offenbar gerade eine Notiz im Geiste, dem Schreiberling, der seine Autobiografie mit dem Titel Nigels neun Stufen zum Erfolg verfasste, mitzuteilen, dass er die Katzenepisode aufnehmen sollte, da sah ich, wie die Schlafzimmertür einen Spalt aufging. Ein vierbeiniger Schatten huschte in mein Blickfeld. Cleo bekam wirklich jede Tür auf, die nicht mit Schloss und Riegel gesichert war.
Während Nigel sich immer mehr für die triumphale Überwindung seines Kindheitstraumas erwärmte, schlich Cleo wie eine geheime Kommandotruppe die Sockelleiste entlang näher. Außerhalb seines Blickfelds kauerte sie sich in den Schatten des Regals und lauschte auf die Details des Katzenalbtraums, den er vor zwanzig Jahren durchlebt hatte. Reglos lag sie da, ein kleines Grinsen auf dem Gesicht.
Plötzlich schoss sie aus ihrem Versteck heraus auf Nigel zu und sprang aus dem Lauf
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