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Cleo

Titel: Cleo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Brown
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den ersten Blick wäre richtiger. Als die Sonne seine blauen Augen hinter der Pilotenbrille zum Leuchten brachte, überkam mich plötzlich noch eine andere Empfindung, die weniger fleischlich, aber weitaus stärker war – ein Gefühl des Wiedererkennens. Wenn wir uns in diesem Leben noch nicht begegnet sein sollten, dann sicher in einem früheren. Er mochte mir fremd sein, aber ich hatte das Gefühl, ihn in einem tieferen Sinn schon zu kennen.
    Der Hochzeitsempfang fand im Haus von Sir Edmund Hillary statt. Der Bräutigam arbeitete offenbar mit einemVerwandten des berühmten Bergsteigers zusammen. Sir Ed befand sich gerade am anderen Ende der Welt, um dort irgendeine mutige und heldenhafte Tat zu vollbringen, und hatte netterweise sein Heim für die Hochzeitsfeier zur Verfügung gestellt. In seiner eleganten Zurückhaltung entsprach das Haus ganz dem Mann selbst. Die Räume waren hellgelb gestrichen und ausgesprochen geschmackvoll eingerichtet. Mit jedem Bild, jedem der handgewebten Teppiche schien eine persönliche Geschichte verknüpft zu sein.
    Als der schwule / verheiratete / sonstwie vergebene Trauzeuge auf mich zukam und sich als Philip mit einem »l« vorstellte, war es um mich geschehen. Er sah einfach viel zu gut aus, um wahr zu sein. Als ich dann aber erfuhr, wem er seinen athletischen Körperbau zu verdanken hatte (der Armee, bei der er acht Jahre gewesen war) und dass er gerade in einer Bank zu arbeiten begonnen hatte, war klar, dass aus uns nichts werden konnte. Endgültig gestorben war die Sache, als er mir sein Alter verriet. Sechsundzwanzig. Er war acht Jahre jünger als ich, praktisch ein Baby. Unverheiratet, nicht geschieden und kinderlos – er kam aus einer völlig anderen Welt als ich, und außerdem hatte ich immer noch den Verdacht, er könnte schwul sein. Ich hätte sozusagen seine Mutter sein können! Dennoch machte er einen netten Eindruck, so als wäre er nicht so schrecklich kompliziert wie die meisten anderen Männer. Den Rat der Therapeutin hatte ich auch nicht vergessen. Wenn ich genug Wein trank und niemandem davon erzählte und wenn er verrückt (oder verzweifelt) genug war, um so etwas überhaupt in Erwägung zu ziehen, dann hatte er eindeutig das Zeug zum One-Night-Stand.
    Ich erklärte ihm, dass ich abends nicht oft ausginge, mich aber gerne zum Mittagessen verabredete, und kritzelte meineBüronummer auf eine Papierserviette. Er schien über mein Angebot erschrocken. Nicht dass er Grund dazu gehabt hätte. Ich war durchaus bereit, die Rolle der Beichtmutter oder Briefkastentante in allen Herzensangelegenheiten zu übernehmen. Ganz freundschaftlich. Ich war ja offen.
    Am nächsten Morgen im Büro ließ ich das Telefon nicht aus den Augen. Niemand rief an, außer einem verärgerten Leser und meinem treuen Keucher in seinem Telefonhäuschen. Auch am nächsten Tag und die ganze nächste Woche kam der erwartete Anruf nicht. Zu Beginn der dritten Woche hatte ich Philip mit einem »l« schon längst aus meinem Gedächtnis gestrichen. Deshalb musste er mich, als er endlich anrief, daran erinnern, wer er war und dass wir uns auf der Hochzeitsfeier kennengelernt hatten.
    »Oje, das war dieser Ex-Soldat aus der Bank«, seufzte ich nach dem Telefonat.
    »Vielleicht möchte er wissen, wo der nächste Kindergarten ist«, sagte Nicole.
    »Er will was mit mir unternehmen«, sagte ich.
    »Auf den Spielplatz gehen?«
    »Nein, etwas Richtiges. Theater und dann Abendessen oder Abendessen mit Theater oder so etwas.«
    »Ich muss dich warnen …«, sagte Nicole und fuchtelte mit ihrem Stift vor meiner Nase herum. »Abgesehen von dem Altersunterschied …«
    »Spar es dir. Er braucht nur jemanden zum Reden.«
    »… ist er viel zu konservativ für dich.«
    Man hatte mir schon zweimal in meinem Leben in entscheidenden Momenten Warnschilder vor die Nase gehalten, was völlig unabsehbare Folgen gehabt hatte. Das eine Mal in der Grundschule, als unsere strenge Kunstlehrerin der Klasse erklärte, wenn einer es wagen würde, seine Fingerin den feuchten Ton zu stecken, dann hätte er mehr Probleme am Hals, als er sich in seinen schlimmsten Albträumen auszumalen vermochte. Und das andere Mal auf der Journalistenschule, als mir ein Dozent erklärte, dass ich als Kolumnistin keine Zukunft hätte. Während ich jetzt Nicole zuhörte, lief wieder das bekannte Kribbeln an meinem Rückgrat entlang. Es sagte dasselbe wie die beiden anderen Male: Ach, meinst du? Na, mal sehen …
    Nach der Arbeit hastete ich

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