Cleo
streckte sich genüsslich vor einem Lagerfeuer aus Treibholz aus, während Philip und ich am Fluss entlangspazierten. Wir blieben an einer Biegung stehen, wo er sich verbreiterte und das Wasser über große Felsen rauschte. Farne beugten sich über das Ufer, um ihr Spiegelbild zu bewundern. Ein Schwarm Mücken schwebte erwartungsvoll in der Luft. Wenn Philip mich wirklich verstehen wollte, dann musste ich ihm irgendwann einmal von Sam erzählen. Diese Geschichte würde unsere junge Liebe möglicherweise zerstören. Sich eine ältere Frau anzulachen war das eine. Nimmt man dann noch die beiden Kinder eines anderen dazu, wird die Sache schon komplizierter. Sollte Philip bereit sein, sich noch weiter vorzuwagen, dann musste er wenigstens ansatzweise nachvollziehen können, wie es war, ein Kind zu verlieren. Selbst wenn wir unser Leben lang zusammenbleiben und miteinander Kinder bekommen sollten, würde es immer einen Teil von mir geben, zu dem er keinen Zugang hatte. Der Teil, der Sam liebte und um ihn trauerte.
»Ich muss dir etwas sagen«, fing ich an und starrte in die Ferne auf eine Wolke, die wie ein Wattebausch aussah. »Rob und Lydia hatten einen älteren Bruder …«
Die Ränder der Wolke fransten aus, so als wolle sie mit dem Himmel verschmelzen. Von den Bergen her wehte ein kalter Wind. Ich zitterte in meiner dünnen Regenjacke. Wenn ich mich mehr in der freien Natur aufhalten würde,hätte ich daran gedacht, für diesen Ausflug im tiefsten Winter ein Paar Handschuhe mitzunehmen.
»Ich weiß das von Sam«, erwiderte er ruhig.
»Woher?«, fragte ich überrascht.
»Ich habe die Artikel gelesen, die du damals geschrieben hast.«
»Wirklich? Seit wann lesen denn Soldaten solche Sachen?«
»Die Geschichte hat mich sehr berührt«, sagte er und starrte eine Ewigkeit, wie es mir vorkam, auf dieselbe Wolke. »Erzähl mir von Sam.« Er nahm meine Hand und rieb sie, um sie zu wärmen.
»Willst du es wirklich wissen?«
Er küsste meine Finger und umfasste sie mit seinen Händen, dann steckte er sie in die Tasche seiner Gore-Tex-Jacke. »Ja, natürlich.«
Während wir das letzte Stück am Fluss entlanggingen, eine meiner Hände in seiner Tasche, hörte er sich Sams Geschichte an, die traurigen und die lustigen Seiten. Ich erzählte ihm, dass der Verlust eines Kindes dem Verlust eines Arms oder Beins ähnlich war, wahrscheinlich nur noch schlimmer. Dass ich mir nicht sicher sei, wie sehr mich die Erfahrung verändert hatte und weiter veränderte. Egal wie rational ich zu denken versuchte, wie oft ich mich daran erinnerte, dass Sam nicht mehr da war, deckte ich noch immer häufig den Abendbrottisch für ihn mit und würde das wahrscheinlich den Rest meines Lebens tun. Das taten sicher viele Mütter, die äußerlich betrachtet über ihre Trauer »hinweggekommen« waren.
Ich hätte es Philip verziehen, wenn er zu einem der abgedroschenen Klischees gegriffen hätte wie »Das muss furchtbar gewesen sein« oder einem der neueren, »Du musst sehrstark sein«. Aber er hörte mir einfach nur zu. Dafür war ich ihm dankbar.
Als wir zurückkamen, wartete Cleo im Feuerschein.
»Und diese Katze ist Teil der Geschichte«, sagte Philip und nahm sie auf den Arm. »Sie ist deine Verbindung zu Sam, oder?«
Cleo schnurrte laut, streckte eine Pfote aus und legte sie an seinen Hals. Dann gähnte sie und schmiegte sich an seine Brust. Das war der Platz, wo sie sein wollte, und ich auch.
Am Spätnachmittag fuhren wir in einem Dinghi zum Angeln hinaus, hinter uns die Kulisse der von der untergehenden Sonne quietschrosa überzuckerten Berge. Eine dicke Regenbogenforelle reichte uns dreien zum Abendessen. Wir tranken Rotwein und lachten. Wir konnten nicht viele Häkchen in der Rubrik »Gemeinsamkeiten« machen, aber eines hatten wir, wie Philip gleich zu Beginn bemerkt hatte, gemeinsam: Wir waren beide eigenwillige Personen und nicht fähig oder willens, uns einer Gruppe anzuschließen, sei sie auch noch so in. Was mich anging, wollten mich ohnehin nicht mal die, die out waren.
Ich merkte, dass ich im Begriff war, mich zu verlieben.
23
R espekt
Eine Katze erwartet,
als gleichgestellt behandelt zu werden.
Heimlich eine Affäre zu haben und in einer Zeitungsredaktion zu arbeiten ist ungefähr so, als versuche man als Angestellter einer Schokoladenfabrik sein Gewicht zu halten.
»Da ist ein Dustin für dich am Telefon«, rief Nicole mit unterkühlter, fragender Stimme.
Damit wir uns wegen des Altersunterschiedes nicht
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