Cleo
Abend bedanken«. Der Ton war gemessen, förmlich.
»Oh!«, erwiderte ich etwas dümmlich.
Nicoles Finger blieben über den Tasten in der Luft hängen. Sie neigte den Kopf und flüsterte: »Wer ist das denn?« Sie hatte einfach einen Instinkt für eine gute Story.
Ich klemmte mir den Hörer unters Kinn und bedeutete ihr per Fingeralphabet »ein l«.
»Ich habe mich sehr gut unterhalten«, fuhr er fort.
Oh Gott. Jetzt log er auch noch. Da wäre es ja selbst beim Blutspenden lustiger gewesen.
»Ich mich auch.«
Nicole verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf.
»Schade, dass das Stück ein solcher Reinfall war«, sagte er.
»Es war gut, ehrlich …«
Nicole nahm einen Kuli von ihrem Schreibtisch und fuhr sich damit über die Kehle.
»Ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, nächstes Wochenende mit mir essen zu gehen?«, fragte er.
Der Schreck fuhr mir in die Glieder und sank wie Blei in meine Füße.
»Nächste Woche habe ich die Kinder«, sagte ich mit kühler, vernünftiger Stimme. Nicole nickte beifällig und hackte wieder auf die Tasten ein. Das war’s dann. Finito. Keine Spielchen mehr, Toy Boy.
»Wie steht es mit dem Wochenende darauf ?«, fragte er.
»Äh«, das Blei in meinen Füßen begann zu schmelzen. »Tja, also, ich glaube, da habe ich nichts vor.«
Nicole starrte mich an, ich meinte fast die Pfeile aus ihren Augen schießen zu sehen.
»Sehr gut. Wie wäre es mit Samstag halb acht?«
»Das passt.«
»Gut, bis dann also.«
»Mist!«, schimpfte ich leise und warf den Hörer hin.
»Warum hast du nicht Nein gesagt?«, fragte mich meine gescheiterte Lebensberaterin Nicole.
»Ich weiß es nicht. Mir ist keine Entschuldigung eingefallen.«
»Wusstest du nicht, dass ›Nein‹ das neue ›Ja‹ ist? Wenn du Nein zu etwas sagst, das du jetzt nicht tun willst, erspart dir das eine Menge demoralisierender Szenen in der Zukunft. Möchtest du wirklich mit jemandem ausgehen, der dich dazu gebracht hat, dich umzuziehen?«
»Was soll ich denn jetzt tun?«
»Ruf ihn ein paar Tage vor eurer Verabredung an und sag, dass deine Tante gestorben ist und du nach Hause zur Beerdigung fahren musst.«
»Gute Idee. Das mach ich.«
Ich tat es nicht. Aus mehreren Gründen. Erstens log ich nicht gerne. Zweitens könnte ich das Schicksal auf falsche Ideen bringen, wenn ich sagte, meine Tante sei gestorben – ich hing schließlich an meiner Tante Lila. Drittens mochte ihn Cleo und viertens … eigentlich gab es kein viertens, außer der Erinnerung an diesen unglaublichen Kuss.
Wenn man bedachte, wie viele peinliche und merkwürdige Dinge im Laufe unserer sogenannten ersten Verabredung passiert waren, musste er ziemlich dumm sein, sich noch einmal mit mir zu verabreden. Oder er war verrückt. Oder etwas Besonderes. Oder verrückt auf eine besondere Weise oder umgekehrt.
Ich predigte den Kindern oft, dass man nichts unversucht lassen sollte, wenn die Chancen besser stehen als im Lotto. Wobei die Chance, dass hinter der perfekt frisierten Fassade des Toy Boy mehr steckte, gegen null ging. Andererseits hatte er mich schon mehr als einmal eines Besseren belehrt. Vielleicht unterschätzte ich ihn ja.
Das Abendessen wurde das erste von vielen, trotz Nicoles Versicherung, die Sache hätte keine Zukunft. Und ich stand vor einem Dilemma. Ich fing an, die Gesellschaft dieses vielschichtigen Mannes zu genießen. Sollten wir den nächsten Schritt wagen, dann konnte unsere Beziehung nicht mehr als One-Night-Stand betrachtet werden, selbst wenn man einen sehr großzügigen Maßstab anlegte. Bei einem One-Night-Stand geht es schließlich darum, dass er unpersönlich ist, vielleicht sogar unbefriedigend, und deshalb nicht wert, wiederholt zu werden. Wenn ich jetzt mit ihm ins Bett ging,dann war das gleichbedeutend mit Ungehorsam gegen meine Therapeutin.
Aber auch noch andere Dinge waren zu bedenken. Eine Frau, die drei Kinder zur Welt gebracht hat, ist, sofern sie noch bei Trost ist, kaum bereit, ihren Körper der Öffentlichkeit zu präsentieren, insbesondere wenn sie sich ein Leben lang dem Gymnastik-Diktat verweigert hat. Diäten, die versprachen, dass man in einer Woche eine Kleidergröße abnahm, endeten unweigerlich damit, dass man in der Woche darauf zwei Kleidergrößen zunahm. Die weibliche Figur formt sich nach der Geburt eines Kindes nun einmal in Hügel und Täler um, die bei Künstlern wie Renoir und Rubens freundlicherweise als »interessant« bezeichnet werden. Nach der Geburt von drei Kindern
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