Cleo
Stuhl auf und rauschte in das Kinderzimmer davon, während wir wie betäubt zurückblieben.
»Manchmal geht er einfach so in die Luft«, sagte ich leise. Aber das war mehr als der Wutanfall eines Teenagers. Das Häuschen am See mit der Garage, in der sich bis an die Decke Skier, Boote und Kanus stapelten, machte den Unterschied zwischen unseren beiden Familien schmerzhaft deutlich. Man bekam den Eindruck, Philip hätte nie etwas anderes getan, als endlose Sommer lang mit hübschen Mädchen über den See zu segeln. Unser Leben war im Vergleich dazu ein ewiger Kampf, überschattet von Tod und Scheidung. Wie konnte jemand mit Philips Erfahrungshorizont auch nur annähernd die Trauer verstehen, die Rob und ich empfanden – und warum sollte er überhaupt?
»Ich rede mit ihm«, sagte Philip und stand auf.
»Nein, lieber nicht«, sagte ich. »Er wird sich schon wieder einkriegen.«
In Wahrheit hatte ich Angst vor den Ausbrüchen meines heranwachsenden Sohns und keine Ahnung, wie ich damit umgehen sollte, außer sie auszusitzen – was Tage dauern konnte.
Philip befolgte meinen Rat nicht und verschwand im Kinderzimmer. Ich konnte ihn durch die Wände leise mit Rob sprechen hören. Die genauen Worte ließen sich zwar nicht ausmachen, aber der Ton war eindeutig. Philip schien nicht um den heißen Brei zu reden und beruhigte Rob, ohne die Unterschiede zwischen ihnen unter den Teppich zu kehren.
»Es geht ihm gut«, erklärte Philip, als er einige Zeit später wieder auftauchte. »Er will jetzt schlafen, sagt er.«
Am nächsten Morgen wachten wir zum Trommelwirbel des Regens auf dem Dach auf. Lydia lümmelte in ihrem Schlafanzug herum, bis sie in einem der Schränke zu ihrer großen Freude eine Kiste mit alten Bausteinen entdeckte.
»Da waren ja Kinder da!«, rief sie.
Cleo kaute auf den Überresten einer Motte herum, während Lydia sich an die Arbeit machte, ein Elefantenschloss mit einer Schaukel für die Babyelefanten zu bauen.
»Wo ist Rob?«, fragte ich.
»Weiß nicht«, sagte Lydia.
Philip wusste es auch nicht. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Wenn Rob in der Nacht abgehauen war, konnte er jetzt schon über alle Berge sein. Er könnte mit einem der Holztransporter, die über die Schnellstraße bretterten, nach Auckland zurückgetrampt sein. Oder er war einfach losmarschiert. Gefährlich war beides, insbesondere bei diesem Unwetter. Ich würde seinem Vater Bescheid geben müssen, womöglich sogar die Polizei einschalten. Eine Katastrophe. Warum machte ich eigentlich immer die Schublade auf, auf der dick und fett »Katastrophe« stand?
»Sieh mal«, sagte Philip, legte eine Hand auf meine Schulter und drehte mich langsam zur Terrassentür. Durch die Scheibe, über die der Regen strömte, konnte ich Wellen sehen, so hoch wie Meereswellen, die gegen das Ufer schlugen. Purpurfarbene Wolken hingen über der Insel. In der Ferne war gerade noch eine Gestalt in einem Kajak auszumachen.
Die Wellen warfen den Kajakfahrer herum und schienen ihn zeitweise ganz zu verschlingen. Dann tauchte er wieder auf, stieß das Ruder ins Wasser und steuerte sein Gefährt durch die Wellenberge hindurch. Furchtlos hielt sich der Mann in seinem Boot, entschlossen, den See zu bezwingen.
»Ihr seid doch alle verrückt hier«, sagte ich. »Wer geht denn bei einem solchen Wetter raus?«
»Rob«, sagte Philip und lächelte. »Und ich muss sagen, er hält sich wirklich gut.«
25
F reiheit
Der Mensch will alles, was er liebt,
in Besitz nehmen. Aber eine Katze gehört niemandem,
außer vielleicht dem Mond.
Ungefähr zu der Zeit, als Steve und ich uns trennten, verfeinerte Cleo ihre Jagdkünste noch weiter. Vielleicht spürte sie, dass es jetzt nur noch einen in der Familie gab, der die Brötchen verdiente, und war von meinen diesbezüglichen Leistungen nicht überzeugt. Schließlich war ich nicht nur ein lächerliches zweibeiniges Wesen mit einem (zumindest aus ihrer Sicht) abstoßend unbehaarten Körper, sondern hätte zudem nicht einmal eine Maus fangen können, wenn der Weltfrieden davon abhinge. Aber Cleo machte mein Unvermögen mehr als wett und schleppte bergeweise befellte oder gefiederte Kadaver an, die sie auf der Türmatte, in den Zimmern, im Flur und sogar in der Küche verteilte. Unser Haus erinnerte an die Werkstatt eines Amateur-Tierpräparators. Um den Blutstrom ein wenig einzudämmen, kaufte ich Cleo ein knallrosa Halsband mit falschen Diamanten und einem Glöckchen, damit mögliche Opfer gewarnt wurden und
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