Cleo
drang in meine Ohren, krachte von dort gegen meine Schädeldecke, raste meine Wirbelsäule hinunter und zerriss etwas in meiner Brust.
»Und deine Eltern? Wie geht es denen?«
Ihr Gespräch wurde immer inniger und ich kam mir immer mehr wie eine Figur bei Charles Dickens vor, die zitternd draußen im Schnee stand und durch ein Fenster auf ein flackerndes Kaminfeuer blickte, das umringt war von glücklichen Gesichtern.
»Komm, wir gehen!«, flüsterte ich Rob zu.
»Aber ich möchte das T-Shirt mit den Teddys«, sagte Lydia.
»Jetzt nicht!«, zischte ich und warf es zurück auf den Stapel mit fein säuberlich zusammengelegten T-Shirts.
Ich packte ihre Hand und schob sie aus dem Laden, Rob im Schlepptau.
»Sollten wir nicht auf ihn warten?«, fragte Rob, als wir durch das Meer von Gesichtern hasteten.
»Es würde mich wundern, wenn er überhaupt mitbekommt, dass wir nicht mehr da sind.«
Wie dumm ich doch gewesen war. Was für eine Vollidiotin. Warum in drei Teufels Namen hatte ich nicht auf Nicole und meine Mutter und all die anderen gehört? Sie hatten Recht gehabt. Der Toy Boy und ich gehörten zwei verschiedenen Welten an. Er passte nicht zu meinen Journalisten und aus mir würde nie mehr eine vierundzwanzigjährige Barbie-Zahnärztin werden. Von den Kindern gar nicht zu sprechen. Damit sich ein Mann eine Zukunft mit den beiden Kindern eines anderen Mannes vorstellen konnte, musste er schon unglaublich besonders sein.
Wie hatte ich sie nur einem derart oberflächlichen undunreifen Menschen aussetzen können? Nicht zu vergessen, konservativ. So verdammt konservativ und langweilig, dass er genauso gut Pfeiferauchen anfangen und eine Zahnärztin heiraten könnte.
»Warte!« Philip keuchte, weil er so schnell gelaufen war, um uns einzuholen. »Was ist denn los?«
Ich schickte Rob in einen McDonald’s, damit er Pommes frites für sich und für Lydia ein Happy Meal besorgte (dieser Name war wirklich der reinste Hohn).
»Du schämst dich wohl für uns?«, schnauzte ich ihn an.
»Wovon redest du denn?«, fragte er und sah mich ganz unschuldig an.
»Warum hast du uns denn nicht vorgestellt?«
»Ich hatte nicht den Eindruck, dass dir was daran liegt.«
»Du meinst wohl, du hattest nicht den Eindruck, dass ihr was daran liegt?«
»Also, ich …« Ein neugieriger Passant blieb stehen und spitzte unauffällig die Ohren.
»Hast du nicht mal gesagt, Sarah wäre so langweilig?« Ich hasste den keifenden Ton in meiner Stimme. Er war höchst unattraktiv und erfüllte nun wirklich kein einziges erstrebenswertes Kriterium. »Dein Gelangweiltsein hast du jedenfalls grandios überspielt.«
»Sie ist … nur eine Freundin.«
»Ach, und warum hast du dann so getan, als wären wir Luft?«
Philip starrte auf ein Neonschild über meinem Kopf. Es ließ im Sekundentakt das Wort »Verlobungsringe« aufleuchten. Zynismus pur.
»Glaubst du, das ist alles so leicht für mich?«, brach es schließlich aus ihm heraus. »Nicht, dass ich die Kinder nicht mögen würde. Ich finde sie toll. Es ist nur so, dass …«
Ich wartete, während eine Million Passanten unter dem blinkenden Neonschild die Farbe wechselten.
»Ich weiß einfach nicht, ob ich von heute auf morgen Vater sein möchte.«
Als er uns zu Hause absetzte und wegfuhr, stellte ich fest, dass Cleos Halsband verschwunden war. Sie hatte es zu guter Letzt durchgekaut und sich ihre Freiheit zurückerobert.
26
Unter H exen
Manchmal ist es einfacher, den Mond zu lieben.
Einer unglücklich verliebten Frau, die etwas auf sich hält, bleiben nicht viele Möglichkeiten, außer vielleicht, eine Hexe zu werden. Hexen können Flüche abwehren. Sie nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. In der Hexenkunst steckt Potenzial. Cleo war die perfekte Hexenkatze, sie konnte praktisch gleichzeitig auf einem Dachfirst und vor einem Kaminfeuer auftauchen und hatte dazu noch die ideale Farbe.
Ein Raum, in dem sich eine Katze aufhält, ist sofort viel schöner. Ihre seidige Präsenz verwandelt eine willkürliche Ansammlung von Stühlen, herumliegendem Spielzeug und leer gegessenen Tellern in einen Tempel, in dem die Seele zur Ruhe kommen kann. Wie eine Göttin thront sie auf dem Fensterbrett und betrachtet die unzähligen Schwächen der Menschen, die sie mit ihrer Gegenwart beehrt. Diese armen Wesen bringen sich mit ihren neurotischen Versuchen, an der Vergangenheit festzuhalten und die Zukunft zu kontrollieren, ständig in Schwierigkeiten. Sie brauchen eine Katze, die sie
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