Cleopatra
Warum nicht einfach Frau Teulings? Oder Liz Taylor?«
»Und er erkennt sie nicht.«
»Jeder kennt das Gesicht von Helene, sie ist die Frau des Ministers. Niemand kennt die Frau des Parlamentsmitglieds. Vor drei Jahren von der Bildfläche verschwunden. Sie könnte sich auch inzwischen die Haare rot gefärbt haben.«
»Was sie nicht hat, ist eine Einladung.«
»Ja. Sonst hätte der Mann sie durchgelassen, sie wäre einfach hineinmarschiert und würde heute noch leben.«
Nel schwieg abrupt, vor Schreck über ihre eigene Schlussfolgerung. »Scheiße«, sagte sie. »Eine solche Kleinigkeit!«
Es war fast unvorstellbar, dass eine geschmackvoll gedruckte Karte mit einer Einladung und einem handgeschriebenen Namen darauf den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten konnte, aber es geschahen seltsamere Dinge. Alles wurde von grausamen Zufällen bestimmt.
Ich schaute regelmäßig in den Rückspiegel, als ich in Richtung der Utrechter Brücke fuhr. Ich konnte nichts Verdächtiges entdecken, aber als ich direkt am Ende der Brücke die A2 verließ, nahm ich zur Sicherheit den Jan Vroegopsingel und fuhr um den Volksgartenkomplex ›Amstelglorie‹ herum. Dann parkte ich irgendwo und wartete eine Zeit lang, bevor ich zu der zwischen üppigem Grün verborgenen Hausbootsiedlung im Knick zwischen Amstel und Duivendrechtse Vaart zurückfuhr. Ich parkte meinen BMW und spazierte an Zäunen aus rostigen Rohrkonstruktionen und Maschendraht entlang, wobei ich durch Bäume und Sträucher spielende kleine Kinder und trocknende Wäsche erspähte.
Ein Hund fing an zu bellen, als ich das quietschende Gartentor von Rinus Verheul öffnete. Ich blieb stehen, bewegte meine Arme nicht und vermied es, dem großen Schäferhund, der vom Hausboot sprang und bellend den Plattenweg entlanggerannt kam, in die Augen zu schauen. Das soll angeblich das Sicherste sein. Wenn ein Hund überhaupt denken kann, könnte er die Hände für zusätzliche Köpfe halten und Augenkontakt kann ihn aggressiv machen.
Der Hund blieb ebenfalls stehen. Er hörte auf zu bellen. Er sah alt aus, war aber offensichtlich gut abgerichtet. Er hatte sein Herrchen gewarnt und würde mich nicht angreifen, solange ich mich an die Regeln hielt und brav wartete.
Das Hausboot bestand aus einem hölzernen Rechteck auf einem Stahlunterbau, möglicherweise mit einer Schicht Beton im Boden – eines der Boote, wie sie in Serie gebaut werden. Es war zwar keineswegs neu, aber gut in Schuss. Alle paar Jahre ein frischer Anstrich.
Man konnte auch deutlich sehen, dass der Mann hier gern wohnte. Es hatte ein kleines Paradies daraus gemacht. Der Garten war nicht breiter, als das Boot lang war, aber etwa fünfzehn Meter zu beiden Seiten waren mit Flechtpaneelen abgeschirmt, an denen Rosen wuchsen. Verheul pflanzte nur Blumen an, vor allem eine ungeheure Vielfalt an Buschrosen, Rosenstöcken und Kletterrosen in allen Farben. Marga hätte sich hier eine Lektion in Gartenpflege abholen können.
Endlich ging die Tür auf.
»Herta, zurück!«
Ein Name für einen pensionierten Polizeihund. Herta kehrte prompt zurück und setzte sich neben ihr Herrchen. Laut Nels Angaben war Verheul achtundsechzig Jahre alt und seit acht Jahren Witwer. Er war mindestens einen Meter neunzig groß und mager, mit wenig beamtenhaftem, langem grauen Haar, das er auf dem Rücken mit einem Bändchen zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Dadurch kamen seine knochige Stirn und seine mageren, glatt rasierten Wangen noch stärker zur Geltung. Er trug eine Cordhose und ein grün kariertes Hemd und er sah gesund aus. Den meisten Wachleuten wird der Argwohn mit der Zeit zur zweiten Natur, aber Verheul wirkte eher gleichgültig, als habe er sich nach seiner Pensionierung eine etwas weniger strenge Sicht der Dinge zu Eigen gemacht.
»Ich glaube nicht, dass ich etwas brauche«, sagte er.
Der Hund spitzte die Ohren, als ich einen Schritt nach vorne machte. »Ich bin gekommen, weil ich mich kurz mit Ihnen unterhalten möchte.«
»Worüber?«
»Alte Erinnerungen?«
Er schüttelte den Kopf. »Sie glauben vielleicht, alle alten Knacker seien ganz wild auf Erinnerungen. Aber wenn ich schwatzen wollte, ginge ich in den Seniorenclub. Da ich dort allerdings nie hingehe, werde ich wohl auch kein Bedürfnis nach Geschwätz haben.«
»Haben Sie früher auch für Privatfirmen gearbeitet?«
Er stieß einen abwertenden Laut aus. »Wollen Sie mir etwa einen Job anbieten?«
Ich ging noch einen Schritt weiter. Der Hund behielt
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