Cleopatra
der Straßenlaterne. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich und er schaute sich unwillkürlich um, als wolle er seinen Fahrer zurückrufen, aber der Mercedes war schon eine halbe Straßenlänge entfernt.
»Max? Was ist denn?«
»Ich muss dich sprechen.«
»Wer ist das?«
»Das ist meine Partnerin, könnte man sagen. Es erschien mir ratsam, eine Zeugin bei mir zu haben.«
Nel sagte nichts. Sie sah sehr konservativ aus in ihrem Kostüm. Hohe Absätze waren ihr zu weit gegangen, aber sie trug ein als zeeländische Brosche getarntes Mikrofon an ihrer Bluse und einen Rekorder in ihrer Handtasche. Ich trug eine flache Mappe mit Reißverschluss unter dem Arm und die Beretta in der Tasche, für den unwahrscheinlichen Fall, dass Meulendijk blutrünstig werden würde.
»Zeugin?« Meulendijk wirkte verwirrt. »Für was?«
»Der Fall Cleveringa. Können wir mit reinkommen oder möchtest du das hier draußen besprechen?«
»Der Fall ist abgeschlossen. Ich habe dich davon abgezogen.«
»Du meinst mit Hilfe der Jungs aus Muiden?«
»Muiden? Ich weiß nicht, wovon du …« Er schüttelte den Kopf. »Komm morgen in mein Büro. Ich glaube, dass meine Frau mit dem Essen …«
»Wir haben auch noch nicht gegessen«, sagte ich. »Vielleicht kann sie ja zwei Teller für uns dazustellen, aber ich könnte mir denken, dass du dieses Gespräch lieber vertraulich führen möchtest.«
Er schaute mich an, als wisse er überhaupt nicht, was er von dem ganzen Theater halten sollte.
»Du hast im Juli 1983 ein Einschreiben aus Limburg erhalten«, sagte ich. »Ich will nur wissen, was du damit gemacht hast. Beziehungsweise warum du an der Vertuschung eines Mordfalls mitgewirkt hast.«
»Von Mord ist mir nichts bekannt.«
»Der einzige Grund, warum ich noch nicht beim Staatsanwalt sitze, ist, dass auch ich das kaum glauben kann. Meine Partnerin ist zwar absolut nicht meiner Meinung, aber ich will es zuerst von dir hören. Du weichst meiner Frage aus.«
Ein Nachbar kam mit einem Stammbaumafghanen an der Leine vorbei. »Guten Abend«, grüßte er.
Ich hatte nicht den Eindruck, dass Meulendijk den Mann sah oder hörte. »Kommt mit«, sagte er und ging uns mit raschen Schritten voraus zu seinem Haus.
Es war ein gediegenes Haus, weder billig noch allzu teuer und gewiss nicht protzig.
Eine Lampe über der Haustür ging automatisch an, als wir uns dem Portal näherten. Der Flur roch nach dem Bohnerwachs für die Holzverkleidung, dem Reinigungsmittel für die Glasscheibe in der Zwischentür und der speziellen Pflanzenseife, mit der die Blätter der Sansevieria abgewaschen wurden. Dahinter lag ein größerer Flur mit zwei weiteren Sansevierien, in den eine breite Treppe mit einem dunkelbraunen Läufer und glänzenden Treppenstangen aus Kupfer mündete.
Frau Meulendijk kam aus einer Tür heraus. »Bernard …« Sie stockte, als sie uns sah. Sie war eine gepflegte Frau um die sechzig, mit weißem Haar, das ihr in einem Pagenschnitt bis zur Mitte der Wangen fiel. Sie hatte eine gesunde Haut und helle Augen, mit denen sie Nel und mich verwundert anschaute. »Besuch?«, fragte sie.
»Es tut mir Leid«, sagte Meulendijk. Einen Augenblick hatte ich den Eindruck, er wolle uns vorstellen, doch dann winkte er uns zu einer Tür weiter hinten. »Du musst dich noch einen Moment gedulden«, sagte er zu seiner Frau.
»Soll ich Kaffee bringen?«, bot sie an.
Ich schlug ihr Angebot im Namen aller aus und schloss die Tür von Meulendijks Büro hinter mir. Es war ein kleiner Raum, altmodisch und beklemmend durch das schwere, antike Mobiliar und Gardinen aus grünem Samt, die bereits zugezogen waren. Eine große Stehlampe und indirekte Beleuchtung warfen ein staubiges Licht auf einen massiven Eichenholzschreibtisch mit einer Unterlage aus grünem Leder, auf dunkle Gemälde und Schränke mit Büchern hinter Glas.
Nel setzte sich neben mich auf einen Armsessel mit aufrechter Lehne und betrachtete fasziniert die schnurgerade Trennlinie im schwarzen Haar Meulendijks. Sie behielt die Tasche auf dem Schoß.
»Du hast den Fall nicht abgeschlossen«, schlussfolgerte Meulendijk.
»Ich arbeite für Lonneke Cleveringa.«
»Das ist nicht besonders anständig. Dein Vertrag …«
»Über Ethik können wir gleich noch sprechen«, sagte ich. »Ich werde dir erst Bericht erstatten, wie es sich gehört. Wir können beweisen, dass die Frau unter dem Tennisplatz nicht Irma aus Kampen ist, sondern Frau Cleopatra Cleveringa.« Ich holte das Röntgenfoto aus meiner Tasche
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