Cleopatra
Dame. In meinem Fach erwirbt man mit der Zeit schon ein bisschen Menschenkenntnis.«
»War der Umschlag nur an irgendeinen Staatsanwalt adressiert oder stand auch ein Name dabei?«, fragte Nel.
Der Hotelbesitzer runzelte die Stirn. »Ich glaube nicht, dass ich den Beleg noch habe, aber es stand ein Name darauf. Van der Molen? Molendijk?«
Mein Unterkiefer klappte herunter.
»Meulendijk?«, fragte Nel.
»Ja, so hieß er. Meulendijk.«
»Logisch«, meinte Nel. »Er war damals der bekannteste unbestechliche Staatsanwalt in den ganzen Niederlanden.«
»Lass mich mal einen Moment in Ruhe.«
Ich ließ den Schlüssel des BMW los, lehnte mich im Sitz zurück und starrte durch die Windschutzscheibe auf die Rasenflächen und den großen Weiher mit dem Schwan, ohne wirklich etwas davon wahrzunehmen. Meine Ohren dröhnten.
»Ich habe da eine Komplotttheorie«, schlug Nel vor.
Ich schnaufte. Ich brauchte ihre Komplotttheorie nicht, um zu begreifen, warum Meulendijk mir diese Sache aufgehalst hatte.
Ich war nur ein Außenstehender, ein besserer Laufbursche, ein ehemaliger Kriminaler von der Sorte Arbeitstier, den sie an einen Schreibtisch verbannt hätten, wenn er nicht von allein gekündigt hätte. Ich hatte in meiner Vergangenheit keine spektakulären Fälle aufzuweisen, die ich dank meiner überragenden Intelligenz oder meines außergewöhnlichen Einfallsreichtums gelöst hatte.
Ich dachte an den Geruch von sinnloser Routinearbeit, abgekartetem Spiel und Paranoia, der dem Fall anhaftete, als Meulendijk mir den Auftrag erteilte. Vielleicht hatte er diesen Geruch absichtlich und von vornherein verbreitet, genauso wie er mich speziell für den Fall ausgewählt hatte. Ohne es ausdrücklich zu sagen, hatte er mir zu verstehen gegeben, dass es in erster Linie darum ging, eine Kundin zufrieden zu stellen, mit Berichten, die zeigten, dass sie nur die Flöhe husten hörte. Er hatte die Sache laufend bagatellisiert und ließ mich die Ermittlungen unverzüglich einstellen, sobald die Polizei Hugo Balde als den Täter präsentierte. Für mein Ego war die Vorstellung wenig schmeichelhaft, auf diese Art und Weise missbraucht worden zu sein.
»Max Winter macht schon keinen Ärger«, murmelte ich. »Ist das deine Komplotttheorie?«
»Warum hat er dir den Fall übergeben?«
»Mir gibt man eben die Fälle, die nicht gelöst zu werden brauchen.«
Nel schaute mich von der Seite an. »Du brauchst jetzt nicht mehr in Selbstmitleid zu versinken als unbedingt nötig.« Sie tätschelte mir die Hand, um mich zu trösten. »Meiner Meinung nach sind wir doch weiter gekommen, als es vermutlich in seiner Absicht lag.«
»Hauptsächlich dank deiner Mitarbeit. Lass uns zusammen eine Detektei aufmachen. Du kannst Direktorin werden und ich mache die Deppenarbeit.«
Sie kicherte.
Ich dachte daran, wie ich dreimal kurz davor gewesen war, Meulendijk zu beichten, dass ich auf eigene Faust an dem Fall weiterarbeitete, und ihn um Hilfe zu bitten. »Ich kann mich nicht mit dem Gedanken abfinden, dass Meulendijk auch nur indirekt etwas mit Mord zu tun haben sollte.«
»Das konntest du dir von Cleveringa auch nicht vorstellen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das ist etwas anderes. Cleveringa fühlte sich persönlich bedroht, da kommt man auf die abartigsten Ideen.«
»Vielleicht fühlte sich Meulendijk auch bedroht oder hat ebenfalls vom Devisenhandel profitiert?«
»Das kann ich mir absolut nicht vorstellen.«
»Woher hatte er dann das Geld für dieses schicke Firmengebäude? Oder hat er genauso klein angefangen wie du?«
»Nein. Er hat groß angefangen. Vor sechs Jahren.«
»Vor sechs Jahren.« Ich sah, wie sie nachrechnete. »Ungefähr ein Jahr zuvor könnte BB mit dem südafrikanischen Rand das große Los gezogen haben. Der ging unter wie ein Backstein, als de Klerk Mandela freiließ und der ANC an die Regierung zu kommen drohte.«
Ich schüttelte hartnäckig den Kopf. »Das war 1990, aber Cleopatra hat den Brief an Meulendijk schon 1983 abschicken lassen. Meulendijk konnte nicht wissen, dass Cleo ermordet werden würde oder bereits ermordet worden war, als er den Umschlag empfing. Oder vielleicht hat er ihn ja gar nicht erhalten.«
»Jetzt hör aber auf! Per Einschreiben!«
»Dieser verdammte Wasserkopf«, schimpfte ich und startete den BMW.
14
»Hallo, Bernard«, sagte ich.
Meulendijk kniff die Augen zusammen, weil er mich in der Einfahrt seines Hauses im Reiche-Leute-Viertel nicht gleich erkannte. Ich trat in den Lichtkreis
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