Cleopatra
Tonfall der Belgier.
»Aber sie hat seinen Namen angenommen?«
»Das war eine von Pieters Bedingungen, als er ihre Mutter heiratete. Er wollte eine, hm … eine ordentliche Familie. Damit die Leute nur nichts Schlechtes denken, ja, dafür tut man alles, Hauptsache, die Leute denken nicht schlecht über einen.«
»Vorher trug sie den Namen ihrer Mutter?«
»Ja, natürlich. Sie hieß Deleye.«
»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?«
»Sie können ruhig Irene zu mir sagen.«
»Ich bin Max.«
Sie lächelte. »Max. Jetzt müssen Sie mir aber ganz ehrlich sagen, ob ich Clara irgendwie schade, wenn ich über sie rede.«
»Nicht, wenn Sie mit mir reden«, sagte ich.
»Ich will ihr keine Schwierigkeiten machen. Sie muss ihre eigenen Entscheidungen treffen, es ist ihr Leben.«
»Soweit ich weiß, hat sie von niemandem etwas zu befürchten«, sagte ich. »Ich versuche lediglich, einige Rätsel im Zusammenhang mit Ihrer Freundin zu lösen.«
Sie nahm einen Schluck von dem dunkelbraunen Gebräu. »Sie ist und bleibt meine Freundin, auch wenn ich nichts mehr von ihr höre. Wir kennen uns seit der Schulzeit und hatten keine Geheimnisse voreinander.«
»Dann hat sie Ihnen doch bestimmt auch von der Freundin erzählt, die sie in Holland hatte, Cleopatra Cleveringa?«
»Sie hat immer nur von Cleo gesprochen.« Irenes Gesichtsausdruck veränderte sich. »Eine reiche Dame, um einiges älter als sie. Na ja, etwa acht Jahre, glaube ich, aber mit zwanzig erscheint einem das als sehr viel älter.«
Ich dachte an das, was Glinka gesagt hatte. »Vielleicht wollte sich Cleo auch gern jünger fühlen?«
»Ja, das könnte sein.« Irene spitzte die Lippen. »Ich weiß nicht. Ich hatte so einen merkwürdigen Eindruck von der ganzen Sache. Was ich weiß, ist, dass Clara es schwer hatte im Leben. Sie ist ein Schatz, aber sie war damals ein bisschen … Sie hatte Probleme mit ihrem Stiefvater.« Sie schaute mich an. »Muss ich noch deutlicher werden?«
»Nein.«
»Das Seltsame war, dass sie sich trotzdem immer zu älteren Männern hingezogen fühlte«, sagte Irene. »Sie wollte sogar einen heiraten, das erzählte sie mir, als ich sie zum letzten Mal sah. Er war verheiratet, wollte sich aber scheiden lassen.«
»Hat sie seinen Namen genannt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Sie wollte es mir nicht sagen; ich würde ihn dann schon auf der Einladungskarte zu ihrer Hochzeit lesen. Ich sollte ihre Trauzeugin sein. Sie nannte ihn Stakie.«
»Und, ist diese Einladung je gekommen?«
Sie schüttelte den Kopf. Der Gedanke daran machte sie traurig. »Ich habe sie nie wieder gesehen.«
»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?«
»Im Januar 1980.« Irene griff mich plötzlich am Arm. »Wenn Sie sie finden, sagen Sie mir dann Bescheid?«
»Das mache ich«, sagte ich.
»Versprochen?«
Ich nickte und tätschelte ihre Hand. »Ich verspreche es.«
Irene nickte und schaute wieder mit verlorenem Blick vor sich hin. »Anfangs kam sie dann und wann nach Ypern, zweimal im Jahr oder so. Dann haben wir in der Kneipe oder bei mir zu Hause zusammengesessen. Sie hat immer bei mir gewohnt; sie konnte Leo, meinen Mann, gut leiden. Ich habe zwei Kinder. Clara wollte nie in der Patteelstraat übernachten, auch nicht, als ihre Mutter noch lebte. Aber sie verabredete sich mit ihr, immer irgendwo anders, auch bei mir zu Hause, ohne dass Pieter Mending etwas davon wusste. Auf der Beerdigung ihrer Mutter hat sie kein Wort mit Pieter geredet und ist sofort danach mit mir nach Hause gegangen.«
»Und beim letzten Mal?«
»Sie hatte ein brandneues Auto.« Irene ließ ein kleines Lachen hören. »Sie sagte, sie hätte in der Lotterie gewonnen.«
»Aber Sie haben ihr nicht geglaubt?«
»Nein, natürlich nicht. Es sind doch immer nur die anderen, die in der Lotterie gewinnen. Damals hat sie mir auch von ihrer Heirat erzählt. Ich glaube, sie hat das Auto von Stakie bekommen. Er war reich.«
»War es ein weißer VW?«
»Ja«, sagte sie mit überraschtem Blick.
»Was hat sie sonst noch von diesem Mann erzählt?«
»Nichts, ich würde ihn schon noch kennen lernen. Es lag Schnee. Wir blieben zu Hause am warmen Ofen. Am Kamin. So ein Einbaukamin …« Sie machte eine Geste, um anzudeuten, dass das ja keine Rolle spiele, aber ich merkte, dass es für sie sehr wohl wichtig war. Dass das zu den kleinen Details gehörte, die ihr im Gedächtnis blieben, weil es das letzte Zusammensein mit ihrer besten Freundin gewesen war. Ihre Augen wurden feucht. »Wir
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