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Cleopatra

Cleopatra

Titel: Cleopatra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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sagen wollte. »Sie war eine ledige Mutter?«
    »Richtig.«
    »Und der Vater von Clara?«
    »Ein Seemann. Ein Fehltritt. Verschwunden. Und selbst wenn er nicht verschwunden wäre, hätte Anniek ihn niemals geheiratet. Das behauptete sie zumindest immer. Aber ich weiß wirklich nicht, wo Clara ist.«
    Wieder diese Augen, unruhiger jetzt; sie erinnerten mich an den Gartenzwerg und aus irgendeinem Grund auch an den Roman De Metsiers von Hugo Claus. Lust, Reue und die Bibel?
    »Sie war noch jung, kaum zwanzig, als sie in die Niederlande ging«, sagte ich versuchsweise.
    »Vielleicht hatte sie die Nase voll von Belgien.«
    »Wie kam sie an ihre Stelle?«
    »Nach der Mittelschule hatte sie eine Sekretärinnen- Ausbildung gemacht. Eine Zeit lang hat sie hier in Ypern gearbeitet, dann konnte sie diese Stellung bei einem Rechtsanwalt in Utrecht bekommen. Danach habe ich sie nur noch einmal gesehen, auf dem Begräbnis ihrer Mutter, aber sie ist gleich anschließend wieder weggefahren.«
    »Hat Sie sie gehasst?«, fragte ich geradeheraus.
    Er schwieg und rührte sich nicht. Eine Taube flatterte vom Kirchendach herunter und landete behutsam auf dem Kies.
    Mending schaute sie an und sagte: »Ihre Mutter hat ihr die Stelle in Utrecht besorgt.« Dann spuckte er plötzlich nach der Taube. Er traf sie natürlich nicht, aber der Vogel hüpfte zu dem Speichel hin und machte eine pickende Bewegung, als hoffe er, er würde sich in Tauben-Manna verwandeln.
    »Hat Clara sich je das Bein gebrochen?«, fragte ich.
    Er schaute mich etwas beleidigt an, als beschuldigte ich ihn wegen irgendetwas.
    »Ein Bein gebrochen? Nicht zu meiner Zeit.«
    »Haben Sie je von Cleopatra Cleveringa gehört?«
    »Nein, noch nie.«
    Ihre beste Freundin. Acht Jahre älter als Clara. Ich fragte mich, wie sie Freundinnen geworden waren und warum. Zwischen ihnen lagen Welten, nicht nur wegen des Altersunterschieds, sondern auch aufgrund der Kreise, aus denen sie kamen, den Verhältnissen, in denen sie lebten, und so weiter.
    Warum fühlte sich Cleopatra zu einer wesentlich jüngeren belgischen Sekretärin hingezogen?
    »Hatte Clara viele Freunde?«, fragte ich. »Freundschaften mit Jungen?«
    »Ich weiß nicht; jedenfalls brachte sie nie jemanden mit nach Hause.«
    Also nicht. »Eine gute Freundin vielleicht?«
    »Sie war viel mit Irene Lampert zusammen.«
    »Wohnt sie in Ypern?«
    »Am Rijsselseweg, aber sie arbeitet im Fremdenverkehrsverein unten im Rathaus. Ich glaube nicht, dass sie Ihnen großartig weiterhelfen kann.«
    »Trotzdem vielen Dank.« Als ich aufstand, flüchtete die Taube erschrocken zurück auf das sichere Kirchendach.
    Im Erdgeschoss des Rathauses stand Irene Lampert zusammen mit einem jungen Mädchen hinter dem Schalter in einem gewölbeartigen Saal, zwischen Fächern und Ständern mit Urlaubsprospekten und Karten mit Routen für Exkursionen entlang der Soldatenfriedhöfe. Eine Hand voll Touristen schlenderte über den grauen Fliesenfußboden. Es roch staubig und alt wie in Kathedralen, dieselbe hohle Akustik und das Knirschen von Kalkstaub unter den Füßen.
    Irene Lampert kam auf mich zu und ich erklärte ihr, ich sei auf der Suche nach Clara Mending, und dachte bei mir, dass sie nun auch ungefähr so aussehen könne wie mein Gegenüber – eine attraktive fünfundvierzigjährige Belgierin. Irene war dunkelblond, recht mollig und schien ein fröhlicher, extrovertierter Mensch zu sein.
    Ihre blauen Augen leuchteten auf. »Sind Sie ein Freund von Clara?«
    Ich gab ihr meinen Ausweis und erklärte ihr alles. Sie zog daraufhin sofort ihre Handtasche unter dem Schalter hervor. »Lassen Sie uns nebenan ein Bier trinken gehen.« Sie wechselte zwei Sätze mit dem jungen Mädchen, das abschätzig in meine Richtung blickte.
    Irene ging mit mir zur höher gelegenen Terrasse eines Lokals direkt neben dem Rathaus. Sie überlegte mit dem Ober, welche der ungefähr zwanzig Sorten von belgischem Bier, von denen zehn in der näheren Umgebung gebraut wurden, sie wählte sollte. Ich nahm dasselbe wie sie. Das Bier war so dunkel wie Cola und hatte eine gelbliche Schaumkrone, schmeckte aber überraschend gut.
    »Clara …«, sagte sie. »Sie ist das Rätsel meines Lebens. Mein Mann sagt immer: ›Freunde verschwinden nun einmal, genauso wie Seeleute.‹« Sie schaute mich viel sagend an. »Ihr Vater war ein Seemann. Sie hat ihn nie gekannt. Ihr richtiger Vater, meine ich. Mending ist nur ihr Stiefvater.« Sie hatte einen leicht singenden Akzent, den freundlichen

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