Cleopatra
dass die Zeiten von Amazing Grace vorbei seien und dass es für eine schöne, allein lebende Frau ratsam sei, abends ihre Haustür abzuschließen. Meistens schaut sie mich dann spöttisch an, wie sie einen Polizisten anschauen würde, der mit einschlägigen Prospekten über Verbrechensverhütung vor ihrer Tür stünde.
Natürlich rührt meine Sorge vor allem daher, dass Marga selbst das Einzige ist, das zu stehlen sich hier lohnen würde. Doch um sich vor ungebetenen Gästen zu schützen, müsste man schon den ganzen Bauernhof umbauen. Wenn irgendein Schuft hineinwollte, würden ihn ein paar verschlossene Türen nicht aufhalten. Er könnte durch alte Fenster klettern oder durch eine vergammelte Seitentür und notfalls könnte er sich auch ein Loch durch das verrottete Reetdach auf dem ehemaligen Kälberstall graben.
Deswegen hatte ich ihr zu Nikolaus eine 8-mm-Schrotpistole geschenkt, festlich verpackt und dazu eine Schachtel Patronen und ein holpriges Gedicht über liebevolle Besorgtheit. Bei der Pistole handelt es sich um eine recht simple Verteidigungswaffe, mit der man mehr Schrecken einjagen als Schaden anrichten kann, aber es ist immer noch besser, damit zu schießen, als der Versuch, einen Eindringling mit kräftigen Töpferhänden zu würgen, weil man ihm zu diesem Zweck zu nahe kommen müsste. Nach einer vergnüglichen Schießübung im Kräutergarten legte sie allerdings die Waffe zurück in ihre Schachtel und versteckte sie in einem Schrank in ihrem Schlafzimmer auf dem Dachboden, zu weit weg, um einen Nutzen davon zu haben, wenn einmal Not an der Frau war.
Ich hatte meine Kleidung schon ausgezogen, bevor ich das Bad erreicht hatte. Man konnte sich kaum etwas Angenehmeres denken, als aus Belgien zurückzukommen und zu Marga unter die Dusche zu steigen. Sie hatte ein viel zu tollkühnes Vertrauen in die Menschheit und zu wenige Hitchcock-Filme gesehen, um sich auch nur ein bisschen zu erschrecken, als ich die Riffelglastür beiseite schob. Sie breitete die Arme aus und Wasser und schäumende Seife flossen über ihre Schultern und ihre Brüste, als sie mich an sich zog. Tropfen spritzten mir ins Gesicht und zwischen unsere Lippen, sie drückte ihr Knie zwischen meine und ich fühlte, wie sich ihre Oberschenkelmuskeln um mein Bein schlossen.
Die Tür war verdammt noch mal schon wieder offen, wollte ich sagen. Weil ich dich erwartet habe, würde sie erwidern. Also hielt ich den Mund.
Sie fing an, mir den Rücken zu waschen, mit einem Schwamm, der nie aufhörte zu schäumen, und ich benutzte meine Hände für ihren Bauch und ihre Brüste, die eigentlich schon sauber genug waren, bis sie den Schwamm schließlich fallen ließ und aufhörte Amazing Grace zu singen.
»Meulendijk hat angerufen«, sagte sie, als sie ihre Linsen wieder eingesetzt hatte und wir mit einer Flasche Cognac in improvisierter Kleidung auf der dunklen Terrasse saßen und in die Nacht hineinschauten.
»Was hast du ihm gesagt?«
»Dass du, soviel ich weiß, nach Belgien gefahren bist.«
Schön. Ich konnte Bernard nichts von Bedeutung melden, außer dass ich Spesen für Unternehmungen berechnen würde, die bis jetzt zu nichts als zur Demontage meiner eigenen Theorien geführt hatten. Marga setzte noch einen drauf, als ich ihr von der Sache erzählte. Natürlich habe ich einen Vertrag bei Meulendijk unterzeichnet, in dem steht, dass ich keine Informationen an Dritte weitergeben darf, aber hin und wieder muss man seine Frustrationen doch einfach mal loswerden. Außerdem ist Marga keine ›Dritte‹. Sie ist eine gute Zuhörerin, aber keine Klatschbase. Es ist mir nie in den Sinn gekommen, sie mit der Bitte zu beleidigen, nicht mit dem Postboten darüber zu reden.
Sie dachte eine Weile darüber nach. »Vielleicht ist sie durch die Beziehung lesbisch geworden«, schlug sie dann vor.
»Wer?«
»Alle beide? Die viel jüngere Belgierin, die gerade eine eklige Geschichte mit dem Stiefvater hinter sich hatte, und die verwöhnte Cleopatra, die vielleicht die Wahrheit sagte, als sie behauptete, mit einer Freundin in Urlaub zu fahren.«
Ich schaute hinauf zu den Sternen. Ich weiß nicht, ob man unter gewissen Umstände lesbisch werden kann, aber es wäre eine Erklärung für die sonderbare Freundschaft. »Das Problem ist nur, dass es sich bei der Urlaubsfreundschaft nicht um Clara handelte«, sagte ich.
»Und Clara war deshalb so böse, dass sie spurlos nach Malta verschwand?«
»Ich glaube, dass sie eher froh war, als sie von dem
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