Cleopatra
gelöst. Die Sache hilft mir höchstens dabei, meine Mutter ein bisschen besser zu verstehen. Haben Sie noch weitere Fragen?«
Ich wusste nicht, wie ich meine nächste Frage taktvoll verkleiden sollte, und deshalb ließ ich die Verpackung kurzerhand weg: »Glauben Sie, Ihr Vater könnte sich auf kriminelle Machenschaften einlassen?«
Ihre Augen vergrößerten sich ein wenig. Der Gedanke kam ihr natürlich nicht zum ersten Mal, aber ich erkannte, dass er sie beunruhigte.
»Kriminelle Machenschaften? Nein, eigentlich nicht. Ich hatte nur das Gefühl, dass er meine Mutter betrogen hat.« Sie biss sich auf die Lippen. »Ich bin seine Tochter. Ich habe nie geglaubt, dass er zu einem Mord fähig sein könnte.«
Lonneke hatte ihr Auto nicht an den Kais geparkt, sondern hinter den Häusern auf der anderen Seite des Kanals. Ich brachte sie bis auf die Brücke. Dort verabschiedeten wir uns unter zwei Schirmen im Regen, im ertrinkenden Licht der antiken Straßenlaternen.
Ich reichte ihr die Hand und sie hielt sie einen Moment fest. »Max, ich möchte Ihnen etwas erklären, aber ich weiß nicht so recht, wie. Ich bin nicht so kalt, wie Sie vielleicht denken, und auch nicht so selbstsicher. Ich weiß nicht, was er getan hat, aber schließlich ist er mein Vater. Ich brauchte mich nie zu entscheiden.«
»Zwischen Vater und Mutter?«
»Ich bin ihm ähnlich, das weiß ich nur allzu gut.« Sie kicherte plötzlich und berührte ihre Nase. »Meine Mutter kenne ich praktisch überhaupt nicht; ich weiß noch nicht einmal, ob ich auch ihr ähnlich bin. Aber ich habe sie vermisst und ich vermisse sie noch heute. Ich habe keine Geschwister. Die vermisse ich auch. Ich bin mir oft schmerzlich bewusst, dass ich mit allem allein fertig werden muss. Ich weiß gar nicht, was es bedeutet, eine richtige Familie zu haben.«
»Ich kann Sie gut verstehen«, sagte ich.
»Nein. Können Sie nicht. Er ist mein Vater und er ist das Einzige, was ich noch habe. Ich werde ihn immer beschützen. Aber ich will trotzdem die Wahrheit wissen.«
»Es könnte ein Punkt kommen, an dem Sie ihn nicht mehr beschützen können.«
»Ja, das stimmt«, gab sie zu. »Aber vielleicht werde ich es trotzdem versuchen. Deshalb müssen Sie im Zweifelsfall dafür sorgen, dass ich keine Gelegenheit dazu bekomme.«
Sie schaute mich mit fragendem Blick an. Ihre Augen wirkten so nass wie der Regen, alles war nass, die Tropfen prasselten auf ihren roten und meinen schwarzen Schirm, meine Schuhe quietschten vor Nässe.
»Versprechen Sie mir das?«
Sie wartete gerade so lange, bis ich zustimmend nickte, dann drehte sie sich um und rannte die Brücke hinunter.
Ich dachte nicht mehr lange über ihre merkwürdige Einstellung zu der Sache nach, weil der Regen um mich herum in Strömen niederr rauschte. Ich lief eilig zurück, von der Brücke hinunter, und hastete im Laufschritt am Restaurant vorbei und durch die dunkle Straße. Ein Auto überholte mich. Ich flüchtete auf den Bürgersteig, um dem Spritzwasser zu entgehen, und rannte dicht an den Häusern entlang.
Ich hatte gerade noch Zeit, meinen Regenschirm loszulassen und die Hände vors Gesicht zu schlagen. Für den Bruchteil einer Sekunde erkannte ich das ausgestreckte Bein, das aus einem Hauseingang hervorgeschnellt kam. Im selben Moment schlug ich vornüber aufs Pflaster. Bevor ich den Schmerz fühlen konnte, wich mir wegen eines harten Trittes die Luft aus den Lungen. Ich versuchte mich auf den Händen abzustützen, aber einer trat mir auf die Hand und ein anderer versetzte mir mit der Kante seines Schuhs einen Tritt gegen den Kopf. Mir war schwindelig, mir brummte der Schädel, ich hatte das Gefühl, mein Ohr blutete, alles war klebrig, alles brannte und stach. Das Rauschen des Regens verschluckte jedes Geräusch, das ich von mir gab.
Sie waren zu zweit. Sie packten mich und zerrten mich in den Hauseingang, wo es vollkommen dunkel war. Sie schmissen mich an die Wand neben einer Haustür. Ich konnte mich nur noch zusammenkauern und meinen Kopf einigermaßen schützen, während sie mit Fäusten und Fußtritten den Rest meines Körpers bearbeiteten.
Der Schmerz war mehr, als ich ertragen konnte, und ich spürte, dass ich kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren. Ich hielt mir vor Augen, dass sie mich nicht töten würden. Wenn sie das gewollt hätten, hätten sie es direkt getan. Sie hätten eine Kugel in mich hineingejagt und wären davonspaziert. Das waren Profis.
Endlich waren sie der Meinung, dass ich genug
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