Cleopatra
keine Sorgen zu machen.« Ich öffnete sein Handschuhfach. Es war voll gestopft mit dem üblichen Krimskrams: Papiertaschentücher, halb volle Tüten Lakritze und Pfefferminzbonbons, ein verschlissenes Mäppchen mit den Autopapieren. Ich schlug es auf. Der Wagen war auf den Namen eines gewissen J. van Lier registriert. Er war achtundzwanzig und wohnte in Nieuwendam.
»Steht das J für Jan oder für Jeremia?«
»John.«
Ich schaute Joop an: »John van Lier.«
»Hab ich’s mir doch gedacht«, sagte Joop Unheil verkündend.
Van Lier leckte sich nervös über die Lippen. Seine Angst schien sich noch zu vergrößern, als Gerrit vor uns rechts abbog und an der verlassenen Fabrik vorbeifuhr.
»Wohin fahren wir?«, fragte er mit gepresster Stimme, als Gerrit auf den mit Unkraut überwucherten Parkplatz hinter dem einsamen Gebäude einbog. Es war ein idealer Ort.
»Halt mal hier an«, sagte ich.
Van Lier gehorchte. Gerrit stand mit dem Renault auf einem Grasstreifen ein Stück weiter weg.
Ich wandte mich an Joop. »Sag Gerrit, er soll noch einen Moment warten; ich unterhalte mich erst mal mit diesem Herrn.«
Joop stieg aus dem Auto und schlenderte zum Renault hinüber. Während ich meine Hand in der Innentasche behielt, schaute ich van Lier mit unbewegtem Gesicht an.
»Ihr wollt wohl versuchen, uns zu verarschen?«, fragte ich abrupt.
Er war verwirrt. »Wieso verarschen?«
Schon von Clausewitz war der Meinung, die beste Taktik sei, den Feind zu verwirren.
»Wo wolltet ihr mit den Sachen hin?«
»Wer seid ihr?«
»Was glaubst du denn, wer wir sind?«, schnauzte ich ihn an. »Ich habe zwei Mann bei Bruno sitzen. Krieg ich jetzt von dir denselben Mist zu hören? Du hast doch den Wagen besorgt?« Ich nahm meine Pistole wieder in die Hand und hielt ihm die Mündung ans Knie.
Er schaute die Waffe an. »Ich weiß nicht«, sagte er tonlos.
»Ich dachte, die Ware sollte hierher gebracht werden?«
Er nickte stumm.
»Jemand hat hier herumgestanden und umsonst auf euch gewartet«, sagte ich. »Rate mal, wer das war?«
Er schaute mich verängstigt an. »Jemand von Holtrop … Sind Sie Holtrop? Hat Bruno es Ihnen denn nicht erklärt?«
»Ich stehe mir hier mitten in der Nacht die Beine in den Bauch«, sagte ich noch einmal. »Das ist nicht witzig.«
»Ich konnte nichts dafür! Wir waren gerade fertig, da kriegt Bruno einen Anruf, dass das Baby zwei Wochen zu früh kommt und er ins Krankenhaus muss.«
»Während ihr hinter De Goos & Bering gestanden habt?«
»Wir sind aus dem Magazin raus und Bruno sollte den Lieferwagen fahren.«
»Und du, hast du etwa zwei linke Hände?«
»Aber ich musste doch mein eigenes Auto fahren! Wie sollte ich denn sonst von hier wieder wegkommen? Ich kann es nicht ändern! Das Tor war zu und Bruno sagt, gib dem Jungen da doch ein paar Scheine und lass ihn für uns fahren. Du fährst hinter ihm her und alles läuft wie geschmiert.«
»Wie geschmiert!«
»Der Typ muss uns verraten haben, sonst wär’ das nie passiert. Du musst dich mit ihm unterhalten, nicht mit mir.«
Ich reichte hinüber zu seinem Lenkrad und drückte kurz auf die Hupe. »Habe ich schon gemacht«, sagte ich. »Guck mal, wer da kommt.«
Gerrit und Joop stiegen aus dem Renault und kamen langsam in unsere Richtung.
Van Lier starrte perplex durch die Windschutzscheibe und kniff die Augen zusammen, während er verzweifelt in seinem Gedächtnis nach einem undeutlichen Gesicht auf dem dunklen Nieuwezijds Voorburgwal kramte. Dann wurden seine Augen größer. Er stieß einen Fluch aus, riss die Autotür auf und sprang so schnell aus dem Wagen, dass ich ihn nicht mehr festhalten konnte.
Joop reagierte als Erster, überraschend behände für einen Mann seiner Statur. Während van Lier über die Pflastersteine des Parkplatzes rannte, brach Joop wie ein Bulldozer quer durch das Gebüsch, um ihm den Weg abzuschneiden. Gerrit lief ihm durch peitschende Zweige hindurch hinterher.
Ich steckte meine Pistole weg, stieg aus dem Renault und wartete ab. Mein Handy piepte.
»Max Winter.«
»Hier ist Lonneke. Ich bin auf Buchenstein. Ich habe die Information aus der Schweiz.« Sie sprach gedämpft und hastig, als habe sie Angst, belauscht zu werden.
»Gut. Kann ich Sie heute Abend anrufen?«
»Lieber nicht, ich übernachte heute zusammen mit den Kindern hier.« Lonneke schwieg einen Moment und flüsterte dann: »Alle Fotos sind verschwunden, aber Glinka sagt, sie sei immer in denselben Ort gefahren. Das war noch vor meiner Geburt
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