Cleopatra
einem Restaurant in Amsterdam essen. Das ist Matthieu.«
Sie zeigte auf einen mageren jungen Mann mit intensivem Blick in einer Gruppe von sechs Personen an einem gedeckten Tisch mit Gläsern, Speisen und Kerzen. »Und das ist Jean-Marie.«
Sie tippte mit dem Zeigefinger auf den Ältesten in der Gesellschaft, aber mein Blick fiel direkt auf die junge Frau, die neben ihm saß.
»Cleopatra Cleveringa?«
»Damals noch nicht«, sagte Frau Boerman. »Sie war seine Verlobte; das Foto wurde 1969 aufgenommen. Josef und Barend waren damals mit dem Studium schon lange fertig und Matthieu befand sich im letzten Semester. Das andere Mädchen war, glaube ich, die Freundin von Barend Scholte.«
So hatten sich Cleopatra und Boerman also kennen gelernt. Ich studierte ihre Gesichter, aber ich konnte nicht ablesen, ob damals bereits ein besonderes Verhältnis zwischen ihnen bestanden hatte. Sie saßen nebeneinander und Boerman hatte den Arm auf die Rückenlehne von Cleopatras Stuhl gelegt, aber diese Haltung wirkte ganz selbstverständlich und unschuldig, weil die Gesellschaft die Stühle hatte zusammenrücken müssen, damit alle auf das Foto passten. Cleveringa saß auf der anderen Seite von Cleo, die Nase geradeaus in die Kamera. Neben seinem nüchternen, kalvinistischen Gesicht wirkte Scholte wie ein junger, sorgloser Bonvivant.
»Haben Sie Cleopatra gekannt?«, fragte ich.
»Nein, und die anderen auch nicht. Ich bin nie dabei gewesen. Jean-Marie hatte ja indirekt mit der Sache zu tun und ging deshalb zu diesen alljährlichen Essen. Damit war es natürlich vorbei, nachdem Matthieu ausgezahlt worden war.«
»Könnte es sein, dass Ihr Schwager danach noch Kontakt zu Cleopatra hatte?«, fragte ich so arglos wie möglich.
»Ich glaube nicht. Warum sollte er?«
Es klang absolut aufrichtig. Boerman hatte seine Schwägerin offenbar in Bezug auf sein Verhältnis mit Cleopatra nie ins Vertrauen gezogen.
»Haben Sie noch häufig Kontakt zu ihm?«
»Kaum. Seit dem Tod von Matthieu eigentlich gar nicht mehr. Er wohnt in Südfrankreich und ist sehr beschäftigt … Er ist alt, er kommt überhaupt nicht mehr hierher.« Sie spürte, dass ihre Worte möglicherweise den falschen Eindruck erweckten, und fügte hastig und im Brustton der Überzeugung hinzu: »Aber er wäre sofort zur Stelle, wenn ich ihn brauchte, da bin ich mir ganz sicher.«
Ich nahm den Zug von Antwerpen nach Amsterdam und fuhr von dort aus nach Schiphol, wo mein BMW stand. Vom Auto aus verabredete ich mich für den nächsten Morgen mit CyberNel.
Gegen Mitternacht traf ich schließlich auf dem Bauernhof ein.
Willem und Marga hatten kleine Gläser zwischen sich stehen, philosophierten über das Leben und freuten sich beide, mich wieder zu sehen. Willem blieb sitzen und schaute geduldig zu, wie Marga mir überschwänglich um den Hals flog und mich auf den Mund küsste. Das Vorderhaus war blau verqualmt von Willems Stinkezigarren und Marga schmeckte ungewöhnlich.
»Genever?«
»Das ist es, was das Volk trinkt«, sagte Willem. »Gebrauchtwagenhändler, du weißt schon.«
»Wie geht es mit der Garage voran?«
Willem lachte. »Deine – wie soll ich sie nennen? – töpfert noch zwei Köpfe, die rechts und links aufs Dach kommen, einen weißen und einen schwarzen, um Unheil abzuwenden. Der weiße stellt den Engel, der schwarze den Teufel dar.«
»Das klingt ja mittelalterlich.« »Gut und Böse gibt es heute noch. Darüber haben wir uns gerade unterhalten.«
Marga schenkte mir ein Glas Genever ein. »Extra eingekauft, für das Volk. Du siehst müde aus.«
»Wenn du nichts dagegen hast, gehe ich jetzt gleich unter die Dusche und …« Ich schaute Marga an.
»Ich verstehe schon«, sagte Willem und leerte sein Glas.
»Warte noch einen Moment«, sagte ich und setzte mich ihm gegenüber auf den Korbstuhl. »Ich bin dir sehr dankbar dafür, dass du das tust und dass ihr da seid.«
»Wir haben bis jetzt wenig Gefährliches bemerkt.«
»Die Sache ist aber noch nicht ausgestanden.«
Ich schaute Marga an. Sie sagte nichts. Sie hatte Probleme mit der Vorstellung gehabt, dass sie Bewachung brauchte, doch nun, wo die Männer hier waren, fand sie es offensichtlich nett.
»Ich bin froh über das, was du für Gerrit getan hast«, sagte Willem.
»Das war doch gar nichts. Manche Fälle kann man in einem Tag lösen. Dieser andere dagegen zieht sich scheinbar endlos hin.«
»Vielleicht musst du mal richtig Dampf machen, so wie ihr es mit diesem Penner vom Nieuwezijds gemacht
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