Cleverly, Barbara - Die List des Tigers
frisch zu machen und den Staub der Reise abzuwaschen. Shubhada war in ihrem Element, schritt in Reiterhose und -jacke durch das Lager und erteilte Befehle. Joe fragte sich, wie gut sie als Schützin war, während er beobachtete, wie sie einen Diener beaufsichtigte, der ihren Gewehrkoffer aus dem Rolls lud. Der Koffer sah prachtvoll aus, dachte Joe, als dieser in ihrem Zelt verschwand, und er fragte sich, ob sie sich die Purdeys ihres Ehemanns für die Jagd hatte ausleihen dürfen.
Die Gewehre aller anderen waren am Tag zuvor ins Lager gebracht worden, und Joes Holland & Holland tauchte pflichtschuldigst auf. Joe begrüßte die Royal wie einen alten Freund an diesem fremden Ort. Er nahm sie heraus, hielt sie an die Schulter und schielte über den Lauf. Dann prüfte er die Munition und stellte zufrieden fest, dass mit der Waffe alles in Ordnung war. Probeschüsse durfte er dagegen nicht abgeben, da Colin jeden Waffengebrauch verboten hatte. Nun, da alles an Ort und Stelle war, wollte er nicht riskieren, den Tiger zu verschrecken und in ein weiter entlegenes Jagdgebiet zu verscheuchen.
Die Gruppe schien vom Urlaubsgeist beseelt. Weit weg von der erdrückenden Atmosphäre des Palastes und glücklich mit ihrer Unterkunft im Freien, setzten sich alle in das von den Baumwipfeln gefilterte Sonnenlicht der Lichtung und genossen die gegenseitige Gesellschaft bei ständig nachgefüllten Teetassen und Gläsern mit eiskaltem Limonensaft und Soda (wie hatten die Khitmutgars das nur fertig gebracht?). Der Tisch bog sich unter den Köstlichkeiten der Feldküche, die bereits fleißig zugange war und von mehreren Palastköchen beschickt wurde. Die männlichen Gäste trugen Khaki-Hemden und -shorts und hatten gut gelaunt die Buschhüte der australischen Armee angenommen, die Colin unter ihnen verteilt hatte. Bei der Jagd durften keine weißen Tropenhelme getragen werden - Camouflage lautete der Tagesbefehl. Bahadur und Ajit Singh fügten sich insoweit, als sie Turbane in mattem Grün trugen. Joe bemerkte, dass überall Gruppen von Menschen fröhlich bei der Arbeit waren - von den zwanzig Mahouts und ihren Elefantenpflegern bis hin zu der prachtvollen Majordomo-Figur, die die Diener und Dienerinnen beaufsichtigte.
Aber Joe war unwohl zumute. Er schlenderte mit Edgar auf eine gemeinsame Verdauungszigarette ein kurzes Stück in den Wald. »So etwas habe ich seit meiner Zeit an der Somme nicht mehr erlebt«, sagte er zu Edgar und wies auf die hin- und hereilende Dienerschaft. »Und alles für einen einzigen Tiger! Wo um alles schlafen all diese Leute?«
Edgar zeigte nach Süden. »Einhundert Meter entfernt in der nächsten Lichtung gibt es eine Art Zeltstadt. Die Elefanten werden unten am See eingezäunt. Und all das ist nicht nur für den Tiger, wie Sie sehr wohl wissen! Es soll uns Europäer unterhalten und entspannen. Mitten in seinen Problemen bietet Udai uns eine Ablenkung von den Schrecklichkeiten, in die wir geraten sind. Typische Höflichkeit des Herrschers, und es wäre sehr nett, wenn Sie aufhören könnten, zu feixen und alles zu hinterfragen, und sich einfach nur amüsierten. Warum nehmen Sie nicht Colin und einen Elefanten und ziehen los und sehen sich die Landschaft an? Das wird Ihre Nerven beruhigen.«
Edgar fand offenbar, dass er ein wenig barsch gesprochen hatte, darum fügte er hinzu: »Hören Sie, Joe, wenn die Sorge um Bahadur Sie so nervös macht, dann entspannen Sie sich. Nicht zu sehr, wohlgemerkt! Wir sind beide noch im Dienst. Aber er ist jetzt weit weg vom Palast und nur noch von Menschen umgeben, denen sein Wohlbefinden am Herzen liegt. Wenn er diesen Baum hochsteigt, ist er nur wenige Zentimeter von Shubhada und wenige Meter von Claude entfernt, die beide allen Grund haben, ihn am Leben zu wissen. Auf der anderen Seite des Nullah befindet sich ein treuer Gefolgsmann seines Vaters, Ajit Singh, der bislang beim Schutz des Jungen gute Arbeit geleistet hat, wie Sie zugeben müssen. Dann gibt es noch Sie und mich. Das macht eine ganz ordentliche Schutztruppe!«
»Sie haben ja Recht, Edgar, aber in einer solchen Szenerie werde ich nun mal nervös - Hochleistungsgewehre, wohin man auch schaut, ein Menschenfresser, der irgendwo im dichten Unterholz lauert, Elefanten, von denen man fallen kann, Bäume, von denen man fallen kann, und Gott weiß, was sonst noch alles! Dieser Ort ist ein Minenfeld!«
Joe wollte sich auf einen Baumstamm setzen, wurde aber von Edgar rasch fortgerissen. Edgar stocherte mit einem Stock
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