Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
Bett gebracht hatte. Tessas Erinnerung reichte nur bis zu dem Moment, in dem sie sich gegen die Automaten in dem kleinen Farmhaus zu wehren versucht und Mrs Black höhnisch gelacht hatte. Irgendwann hatte sie das Bewusstsein verloren und war in eine gnädige Dunkelheit versunken. Aber die Vorstellung, dass Mrs Black sie entkleidet und gebadet hatte, war grauenvoll – wenn auch etwas weniger schrecklich als der Gedanke, Mortmain könnte diese Aufgabe persönlich übernommen haben.
Das meiste Mobiliar im Raum stand entlang einer der Wände der Höhle; die andere Seite hatte man größtenteils frei gelassen. Aber Tessa konnte an der hinteren Wand den Schatten eines dunklen Türrahmens erkennen. Nach einem kurzen Blick durch den Raum machte sie sich auf in Richtung Tür …
Nur um in der Raummitte plötzlich und brutal aufgehalten zu werden. Sie taumelte einen Schritt zurück und zog den Morgenmantel fester um sich; ihre Stirn schmerzte an der Stelle, an der sie gegen irgendetwas geprallt war. Vorsichtig streckte sie eine Hand aus und ertastete den leeren Raum vor ihr.
Und dann spürte sie einen soliden Widerstand unter ihren Fingerspitzen – als stünde eine perfekt durchsichtige Glaswand zwischen ihr und der anderen Seite der Höhle. Tessa presste ihre Hände dagegen. Das Hindernis mochte zwar unsichtbar sein, aber es fühlte sich hart und glatt an, wie ein Diamant. Tastend bewegte Tessa ihre Hände in Richtung Höhlendecke; sie fragte sich, wie hoch diese Wand wohl reichen mochte …
»Sparen Sie sich die Mühe«, sagte in dem Moment eine kalte, vertraute Stimme an der Tür. »Diese Konfiguration erstreckt sich durch die gesamte Höhle, von Wand zu Wand und von der Decke bis zum Boden. Sie sind dahinter vollständig eingesperrt.«
Tessa, die sich weit hinaufgereckt hatte, sank wieder auf ihre Füße und trat einen Schritt zurück.
Mortmain.
Er sah genauso aus, wie sie ihn in Erinnerung gehabt hatte: ein kleiner, drahtiger Mann mit einem wettergegerbten Gesicht und ordentlich gestutzten Koteletten. Erstaunlich gewöhnlich, bis auf die Augen, die so kalt und grau waren wie ein Winterschneesturm. Er trug einen taubengrauen, nicht allzu förmlichen Anzug, als wäre er ein Gentleman, der den Nachmittag in seinem Club verbringt. Seine auf Hochglanz polierten Schuhe schimmerten im Feuerschein.
Tessa schwieg und zog lediglich ihren schwarzen Morgenmantel fester um sich. Das Seidengewand war voluminös und bedeckte ihren gesamten Körper, aber ohne ihre Unterkleidung aus Hemd, Korsett, Strümpfen und Turnüre fühlte sie sich irgendwie nackt und ungeschützt.
»Machen Sie sich keine unnötigen Sorgen«, fuhr Mortmain fort. »Sie können die Wand zwar nicht durchdringen, aber das Gleiche gilt auch für mich. Ich kann Sie nicht erreichen, ohne zuvor die Beschwörungsformel aufzuheben – und das erfordert Zeit.« Er schwieg einen Moment und meinte dann: »Ich wollte, dass Sie sich hier sicher fühlen.«
»Wenn Sie an meiner Sicherheit interessiert wären, hätten Sie mich nicht aus dem Institut entführt«, konterte Tessa eisig.
Darauf erwiderte Mortmain nichts. Schließlich neigte er den Kopf etwas zur Seite und betrachtete sie mit leicht zusammengekniffenen Augen, wie ein Seemann, der den Horizont absucht. »Mein aufrichtiges Beileid zum Tod Ihres Bruders. Das war nie meine Absicht gewesen.«
Tessa spürte, wie sich ihr Mund zu einer Grimasse verzog. Es waren zwei Monate vergangen, seit Nate in ihren Armen gestorben war, aber sie hatte weder vergessen noch vergeben. »Ich will Ihr Mitleid nicht und auch nicht Ihre Beileidsbezeugungen. Sie haben Nate benutzt, ihn zu Ihrem Werkzeug gemacht und dann ist er gestorben. Das ist Ihre Schuld – so als hätten Sie ihn auf offener Straße erschossen.«
»Vermutlich hat es wenig Zweck, darauf hinzuweisen, dass er mich aufgesucht hat.«
»Nate war doch nur ein Junge«, erwiderte Tessa. Am liebsten wäre sie auf die Knie gesunken und hätte mit den Fäusten gegen das unsichtbare Hindernis getrommelt. Doch sie hielt sich kerzengerade und fügte eisig hinzu: »Er war noch nicht einmal zwanzig Jahre alt.«
Mortmain schob die Hände in die Taschen. »Wissen Sie, wie es für mich gewesen ist … als ich noch ein Junge war?«, fragte er in ruhigem Ton, als säße er bei einer Dinnerparty an ihrer Seite und würde höflich Konversation machen.
Tessa dachte an die Bilder, die sie in Aloysius Starkweathers Verstand gesehen hatte:
Der Mann war groß, breitschultrig – und
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