Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
zu legen begann. Sie schluchzte und weinte und Will hielt sie die ganze Zeit fest im Arm – bis auf einen kurzen Moment, als er rasch aufstand, um ein paar Holzscheite in das heruntergebrannte Feuer zu legen. Doch dann kehrte er sofort zu ihr zurück und setzte sich wieder neben sie, den Rücken gegen die unsichtbare Mauer gelehnt.
Vorsichtig berührte Tessa die Stelle auf seiner Schulter, an der ihre Tränen sein Hemd durchnässt hatten. »Tut mir leid«, sagte sie. Sie konnte gar nicht mehr zählen, wie oft sie sich während der vergangenen Stunden bei Will entschuldigt hatte, während sie sich gegenseitig von ihren Erlebnissen seit Tessas Entführung aus dem Institut berichtet hatten. Will hatte ihr von seinem Abschied von Jem und Cecily erzählt, von seinem Ritt quer durch das Land und von dem Moment, in dem er erkannt hatte, dass Jem von ihnen gegangen war. Und Tessa hatte ihm mitgeteilt, was Mortmain von ihr verlangt hatte: dass sie sich in seinen Vater hatte verwandeln müssen, damit er das letzte Puzzleteil bekam, das seine Automaten-Truppe zu einer unaufhaltsamen Armee machte.
»Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest, Tess«, sagte Will nun. Er blickte in Richtung des Feuers, dem einzigen Licht im ganzen Raum. Der Schein der Flammen spielte golden und schwarz auf seinem Gesicht; die Schatten unter seinen Augen schimmerten violett und die Konturen seiner Wangenknochen und Schlüsselbeine traten deutlich hervor. »Du hast so sehr leiden müssen, genau wie ich. Der Anblick des Dorfes, das von den Automaten vernichtet wurde …«
»Wir waren beide zur selben Zeit dort«, stellte Tessa verwundert fest. »Wenn ich gewusst hätte, dass du in der Nähe warst …«
»Wenn ich gewusst hätte, dass du in der Nähe warst, wäre ich mit Balios direkt den Hügel hinaufgaloppiert, direkt zu dir.«
»Und wärst von Mortmains Kreaturen getötet worden. Es ist besser, dass du es nicht gewusst hast.« Tessa folgte seinem Blick und schaute ebenfalls ins Feuer. »Nun hast du mich ja gefunden und das ist das Einzige, das zählt.«
»Natürlich habe ich dich gefunden. Das hatte ich Jem schließlich versprochen«, erwiderte Will. »Und manche Versprechen darf man nicht brechen«, fügte er hinzu und holte gequält Luft.
Tessa spürte seinen flachen Atem an ihrer Seite: Sie saß dicht neben ihm, halb an ihn gelehnt, und seine Hände zitterten fast unmerklich, während er sie hielt. Vage war sie sich der Tatsache bewusst, dass sie es eigentlich nicht gestatten durfte, sich auf diese Weise von jemandem in den Arm nehmen zu lassen, der nicht ihr Bruder oder Verlobter war. Aber sowohl ihr Bruder als auch ihr Verlobter waren tot. Und schon morgen würde Mortmain sie finden und sie beide grausam bestrafen. Angesichts dieser Aussichten sah sie es nicht ein, besonders viele Gedanken an die Regeln des Anstands zu verschwenden.
»Wozu ist das alles gut gewesen? Wozu dieser ganze Kummer und Schmerz?«, fragte sie leise. »Ich habe ihn so sehr geliebt, doch ich war nicht einmal bei ihm, als er starb.«
Will strich ihr mit der Hand über den Rücken – leicht und schnell, als fürchtete er, Tessa könnte sonst von ihm abrücken. »Ich war auch nicht da«, sagte er. »Als es mir bewusst wurde, stand ich gerade im Innenhof eines Wirtshauses, auf halber Strecke nach Wales. Ich habe es gespürt. Das Band zwischen uns wurde zerrissen. Es war so, als hätte eine riesige Schere mein Herz in zwei Hälften zerteilt.«
»Will…«, setzte Tessa an. Sein Kummer war mit Händen zu greifen und vermischte sich mit ihrem eigenen Leid zu einer alles durchdringenden Trauer, die nur dadurch zu ertragen war, dass sie beide diesen Schmerz teilten. Aber es ließ sich nur schwer sagen, wer nun wen tröstete. »Du warst schon immer ein Teil seines Herzens.«
»Ich war derjenige, der ihn gebeten hat, mein Parabatai zu werden«, erzählte Will. »Jem hat sich anfangs gesträubt. Er wollte, dass ich verstand, dass ich mich mit diesem Lebensbund an jemanden band, der nicht sein ganzes Leben, sondern nur noch wenige Jahre vor sich hatte. Aber ich wollte es unbedingt, mit aller Macht – als eine Art Beweis dafür, dass ich nicht allein war, und um ihm zu zeigen, was ich ihm schuldete. Letzten Endes hat er nachgegeben und mir meinen Wunsch großzügig erfüllt. Wie immer.«
»Nein, sag das nicht«, forderte Tessa. »Jem war kein Märtyrer. Es war nie eine Strafe für ihn, mit dir als Parabatai verbunden zu sein. Du bist ihm wie ein Bruder
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